Portugiesische
Sängerinnen sind eine Klasse für sich. Ob Mísia,
Teresa Salgueiro (Madredeus), Dona Rosa, Maria João, Dulce
Pontes oder die große Amalia Rodrigues, sie alle verfügen
über ein außergewöhnliches Maß an Charisma,
stimmlicher Emotionalität und Ausdruckskraft.
In
diese Gruppe illustrer Sängerinnen gehört auch Amélia
Muge, deren viertes Studioalbum "A monte" jetzt auch in
Deutschland veröffentlicht wurde.
Amélia Muge kam aus der ehemaligen portugiesischen Kolonie
Mosambik nach Lissabon; vielleicht auch deshalb ist ihr Blick nicht
auf den klassischen Fado beschränkt. In ihrer Musik mischen sich
traditionelle Elemente mit Chorgesang, Percussions, Akkordeon, Gitarre,
moderner Elektronik bishin zu Dudelsack und brasilianischem Straßenkarneval
zu einem Stilmix, dessen Herkunft stets erkennbar bleibt und dennoch
neue Perspektiven eröffnet.
In
dieser Hinsicht ähnelt ihr Vorgehen dem bislang letzten Studioalbum
"O primeiro canto" von Dulce Pontes, während ihre textliche
Orientierung eher mit Mísias vergleichbar ist: Beide vertonen
bevorzugt Texte der großen portugiesischen Literaten Fernando
Pessoa und José Saramago.
Amélia
Muge geht jedoch noch einen Schritt weiter. Neben der Vertonung von
Lyrik aus der Feder Pessoas ("Sonho de ser" / Der Traum
zu sein), Saramagos ("Se não tenho outra voz" / Wenn
ich keine andere Stimme habe) und anderer Poeten findet sich auf "A
monte" auch die überraschende Adaption eines Titels von
Laurie Anderson: "Monkey's Paw", in der portugiesischen
Übersetzung von Joao Lisboa ("A garra do macaco").
Die Aufnahme unterstreicht den Willen Amalia Muges, die traditionelle
portugiesische Musik mit internationaler Avantgarde zusammenzubringen
und den eigenen Horizont dadurch beständig zu erweitern.
Doch
die meisten ihrer Kompositionen schreibt und arrangiert Amélia
Muge selbst. Dabei komponiert sie nicht nur für sich, sondern
auch für andere. So finden sich auf Mísias Album "Paixoes
diagonais" drei Titel, die von Amélia Muge geschrieben
wurden, darunter wiederum die Vertonung eines Pessoa-Gedichts: "Par
rêve".
Neben
dem herausragenden Gesang und der mitreißenden Interpretation
ihrer Lieder, die auch Hörer außerhalb Portugals ohne Sprachkenntnisse
berührt, ist die individuelle Kreativität von Musikerinnen
wie Amélia Muge besonders beeindruckend. Hier handelt es nicht
etwa um die x-te Kopie dessen, was seit dem Erfolg von Madredeus auf
internationales Interesse stößt, sondern um ein künstlerisches
Potenzial, dessen Strahlkraft sie - wie auch ihre Kolleginnen - jeweils
als einzigartig erscheinen lässt.
©
Michael Frost, 22. Februar 2003