Der
Traum der Gitarristen Pedro Ayres Magalhaes und Rodrigo Leao von einer
eigenen Band, mit einem ganz unverwechselbaren Stil zwischen Fado,
traditioneller Folklore, klassischen Elementen und modernen Arrangements,
getragen von akustischen Gitarren, wurde 1985 Wirklichkeit, als die
Gruppe ihre Stimme erhielt - und was für eine. Teresa Salgueiro
gilt seit den ersten öffentlichen Auftritten der Gruppe als Offenbarung.
Ihre kristallklare, reine und helle Stimme gleicht einem seltenen
Diamanten. Sie erfüllt die Musik der Gruppe mit einer Aura, die
mittlerweile ganz Europa fasziniert, Nord- und Südamerika, Japan.
Bereits das Debüt "Os dias da Madredeus" avancierte
zum Erfolg. Aufgenommen wurde das Album in der Kirche des Konvents
von Xabregas in Lissabon.
"Existir" (1990) war das erste Album, das die von Anfang
an zum Quintett erweiterte Gruppe (Gabriel Gomes, Akkordeon und Francisco
Ribeiro, Cello) auch im Ausland vorstellte, und es waren längst
nicht nur portugiesische Immigranten, welche die Konzertsäle
füllten.
Aber
natürlich wurde die Gruppe vor allem in einer Stadt umjubelt,
verehrt und gefeiert: in Lissabon, Heimat der Gruppe und Ursprungsstätte
ihrer Musik. Die unglaubliche Wirkung ihrer Lieder vor heimischem
Publikum dokumentiert "Lisboa", ein Konzertmitschnitt von
1991, der als Doppel-CD veröffentlicht wurde. Das Album ist eine
Zusammenfassung der ersten beiden CDs und bietet einen stimmungsvollen
Wechsel zwischen instrumentalen Landschaftsbeschreibungen, leidenschaftlichen
Liebesliedern und dramatischer Folklore.
Überwiegend
leise Töne sind auf dem nachfolgenden Album "O espírito
da paz" von 1994 zu hören. Mehr noch als auf den vorangegangen
Aufnahmen wird die Ausnahmestimme von Teresa Salgueiro in den Vordergrund
gestellt. Das Album wurde live im Studio eingespielt, einige Lieder
nachträglich um Synthesizerklänge ergänzt, die den
Kompositionen ihre sphärische und klassische Stimmung geben.
Mit dieser Ausrichtung, hier erstmals als durchgängiges Konzept
entwickelt, steht "O espírito da paz" am Beginn einer
Entwicklung, die auf den späteren Alben "O Paraíso"
und "Movimento" weiter verfeinert wurde.
Doch
im Ablauf der Band-Karriere kam zunächst noch Wim Wenders mit
seinen Plänen für einen Film dazwischen, der in Lissabon
spielen sollte. Er bat Madredeus nicht nur um den Soundtrack, sondern
integrierte die Gruppe in die Filmhandlung, die ihre neuen Lieder
im Verlauf des Films selbst vortrug. "Lisbon story" machte
Madredeus weltweit bekannt. Mehr noch als ein Roadmovie hatte Wenders
einen Musikfilm im Spielfilmformat gedreht (im Unterschied zur späteren
Dokumentation des Buena Vista Social Club).
Madredeus
veröffentlichten ihre für den Film geschriebenen Lieder
unter dem Album-Titel "Ainda" und schufen damit weit mehr
als nur die Untermalung von Bildern - nämlich die Bilder selbst,
Bilder von Lissabon, der portugiesischen Hauptstadt an der Mündung
des Tejo, und seinen Bewohnern, ihrer sprichwörtlichen Sehnsucht,
ihrer Leidenschaft, ihrer Melancholie und ihren Träumen.
Als
1997 das nächste Studioalbum "O paraíso" erschien,
hatte sich die Zusammensetzung der Gruppe grundlegend, dennoch kaum
merklich, verändert. Die Mitbegründer der Band Rodrigo Leao,
Gabriel Gomes und Franciso Ribeiro waren gegangen, dafür waren
José Peixoto (klassische Gitarre), Carlos María Trindade
(Synthesizer) und Fernando Júdice (Bassgitarre) neu dazu gekommen.
José Peixoto war gleich an der Komposition einiger der neuen
Stücke für "O paraíso" beteiligt, die meisten
Texte und weitere Kompositionen stammen von Pedro Ayres Magalahaes.
Vielleicht ist es der Einfluss dieser beiden Meister der klassischen
Gitarre, denen der Sound von Madredeus die stärkere Hinwendung
zu klassischen Arrangements verdankt, die sich von den folkloristischen
Titeln der ersten beiden Alben zum Teil stark unterscheiden.
Spätestens
bei Vergleichen der beiden bislang erschienenen Live-Aufnahmen ("Lisboa"
von 1991, und "Oporto" von 1998) wird man feststellen, dass
die ursprüngliche, traditionelle und oft recht ausgelassene Stimmung
früher Jahre einer zwar nicht minder fesselnden, aber ungleich
kunstvolleren magischen Aura gewichen ist, die nach wie vor in Portugal
fest verwurzelt ist, ihre Wirkung und Ausstrahlung auf die Menschen
jedoch universell entfalten kann.
Nach
dem fälligen "Best of"-Album (Antologia, 2000) erschien
im Frühjahr 2001 "Movimento" mit 16 neuen Titeln, einer
Spielzeit von 77 Minuten. "Movimento" bedeutet eine Perfektionierung
des eingeschlagenen Weges der Gruppe. Vielleicht auch deshalb hat
die Band anschließend ein ganz anderes Projekt möglich
gemacht: "Electronico". Das Album (Juni 2002) beinhaltet
so charakteristischer Madredeus-Titel wie "Haja o que houver",
"Oxala", "A andorinha da primavera" oder "Guitarra"
in elektronischen Remix-Versionen so unterschiedlicher Künstler
wie etwa Craig Armstrong oder Télépopmusik.
Sowohl
in künstlerischer als auch in publikumsstrategischer Hinsicht
zahlt sich die mutige Grenzüberschreitung von "Electronico"
aus. So sagt beispielsweise Al Johnson über seine Version von
"Ao longe o mar": "I nahm die Einladung von Madredeus
an, weil sie die Chance beinhaltete, ihre Musik einem anderen Publikum
bekannt zu machen und Fans anderer, elektronisch-orientierter Musikstile
diese tiefgründige und kunstvolle Musik näherzubringen.
In der Musik von Madredeus findet sich eine leidenschaftliche und
emotionale Tiefe, die der aktuellen Popmusik oft fehlt."
Michael
Frost, 1. Februar 2002
Update: 05.07.2002
Foto: Emi/Nuzzcom