Maria
João, Portugals wohl größte Jazz-Sängerin,
begann ihre Karriere 1982. In ihrer virtuosen Vokal-Akrobatik ist
sie unerreicht, oft wird sie als weibliches Pendant zu Bobby McFerrin
oder zum jungen Al Jarreau bezeichnet,. Ihre stimmliche Bandbreite
wird auf einer Skala zwischen Micky Maus und Billie Holiday eingeordnet.
Drei Alben und unzählige Live-Auftritte mit dem portugiesischen
Quintett, das ihren Namen trug, begründeten ihre internationale
Karriere. Eines ihrer ersten Konzerte in Deutschland wurde vom ZDF
aufgezeichnet und gesendet, für ein junges Talent wie sie, noch
zu dem aus der oft als sperrig bezeichneten Sparte "Jazz",
eine nicht zu unterschätzende Starthilfe.
Ab 1987 arbeitete Maria João mit der japanischen Pianistin
Aki Takase zusammen. Gemeinsam produzierten sie zwei von der Kritik
begeistert aufgenommene Alben, doch Anfang der 90er Jahre zerbrach
das viel versprechende Duo aufgrund unterschiedlicher künstlerischer
Entwicklungen. Maria João hatte begonnen, sich vermehrt mit
Einflüssen der Weltmusik zu beschäftigen und versuchte,
vor allem lateinamerikanische, namentlich brasilianische Musik in
ihre Vision eines zeitgemäßen, portugiesischen Jazz einzubinden,
ein Weg, bei dem ihr Aki Takase offenbar nicht weiter folgen mochte,
wohl aber der Pianist Mário Laginha, mit dem sie fortan gemeinsame
Projekte entwickelte.
Mário
Laginha hatte zuvor gemeinsam mit dem heutigen Madredeus-Gitarristen
José Peixoto in der Gruppe "Cal Viva" gespielt. Auch
Maria João hatte seit 1991 Kontakt zu der Gruppe, bis sie 1994
schließlich mit Laginha das erste gemeinsame Album veröffentlichte:
"Danças", ein sehr ehrgeizige Produktion, bei dem
Maria João vor dem Hintergrund des Klavierspiels von Mário
Laginha den Facettenreichtum ihres Gesangs vollends ausspielen und
die Grenzen des stimmlich Möglichen ausloten konnte.
Dem
auf das Wesentliche begrenzte Vokal+Piano-Album "Danças"
folgte dann der erste große Wurf in Sachen Weltmusik: Unter
Beteiligung des indischen Percussionisten Trilok Gurtu veröffentlichten
Maria João und Mário Laginha 1998 ein Album, mit dem
sie die Wege der portugiesischen Eroberer nach Ostasien nachvollzogen,
indem sie die unterschiedlichen kulturellen Einflüsse des indischen
Subkontinents mit portugiesischen Rhythmen zusammen brachten. "Cor",
so der Titel des Albums, war ein offizielles Projekt zur Expo 1998
in Lissabon.
Zwei
Jahre darauf entstand ein weiteres Album, das als kultureller Brückenschlag
gedacht war: "Chorinho feliz", das Maria João und
Mário Laginha gemeinsam mit portugiesischen und brasilianischen
Musikern aufnahmen. Anlass war diesmal der 500. Jahrestag der "Entdeckung"
Brasiliens durch portugiesische Seefahrer. Die Regierung in Lissabon
hatte dieses musikalische Projekt in Auftrag gegeben, und Maria João
war klug genug, das historische Datum, das Portugal einst Reichtum
und weltpolitische Bedeutung verlieh, Brasilien jedoch bittere Armut,
Ausbeutung, Entrechtung und Vernichtung der Ureinwohner, als Liebeserklärung
an die ehemalige Kolonie zu formulieren. Ungewöhnlich genug für
eine Portugiesin, nahm sie die eigens komponierten Titel in brasilianischem
Portugiesisch auf, das sich längst zu einer eigenständigen
Sprache entwickelt hat und mit dem Portugiesisch, wie es in Lissabon
oder Porto gesprochen wird, immer weniger Ähnlichkeit hat.
Das sprachliche Einfühlungsvermögen verschaffte ihr viel
Respekt. In einem Interview erzählte sie, dass Caetano Veloso,
einer der wichtigsten Musiker Brasiliens, sie als eine der wenigen
gelobt habe, die sich nicht nur mit der brasilianischen Musik beschäftigte,
sondern auch mit den Besonderheiten der Landessprache. "Chorinho
feliz" enthält auch einige Lieder, die Maria João
gemeinsam mit Gilberto Gil singt, einer weiteren Legende der brasilianischen
Musik des 20. Jahrhunderts. Einziger "Exot" bei der Produktion,
erzählte sie später lachend, sei Helge Norbakken gewesen,
ein Norweger am Schlagzeug - aber, wie "Chorinho feliz"
belegt, ein Norweger mit brasilianischem Rhythmusgefühl.
Auch
"Mumadji" (2002) folgt dem eingeschlagenen Weg. Gemeinsam
haben die beiden eine Form der Zusammenarbeit gefunden, die ihnen
jeweils die nötige Freiheit lässt und es ihren Instrumenten
(und als solches gilt nicht nur das Klavier, sondern auch die Stimme
Maria Joaos) ermöglicht, zur vollen Entfaltung zu gelangen und
sich gegenseitig zu neuen Höchstleistungen anzutreiben. Die in
ihrer Musik unvergleichlich verkörperte Symbiose zwischen portugiesischer
Melancholie, brasilianischem Temperament und klassischen Jazz-Traditionen
begründet zudem einen eigenen, unverwechselbaren Standard.
Nachtrag:
Inzwischen sind Maria João und Mario Laginha schon wieder einen
Schritt weiter. Ihr aktuelles Album "Undercover" ist eine
Sammlung von Rock- und Pop-Adaptionen, darunter u.a. Songs von U2
und Björk. Maria João unterstreicht damit nochmals den
Genre übergreifenden Anspruch ihres Jazz-Verständnisses.
©
Michael Frost, 01. August 2002
Update: 29.03.2003