Als
Ry Cooder die ehemaligen Mitglieder des Buena Vista Social Club zu einem
inzwischen historischen Revival zu versammeln, da wurde der Sound der
Altstars von Havanna mit zeitgemäßen Mitteln aufpoliert,
erneuert und internationalisiert. Den Unterschied des Sounds hört
man deutlich, wenn man die neuen Einspielungen des "Club"
mit früheren Soloaufnahmen seiner Mitglieder vergleicht.
Um
vieles einfacher, schlichter und letztlich ursprünglicher geht
auch "Sierra Maestra" vor, eines der berühmtesten Son-Orchesters
Kubas mit langer Tradition. Ihr neues Album "Son - Soul of a
nation" wurde im Gegensatz zu früheren Einspielungen nicht
in Europa, sondern in einem alten Studio in Havanna aufgenommen, im
Herzen des Son also, wo die Tradition dieser Musik heute noch ebenso
lebendig ist wie in den 1920er Jahren.
Sierra
Maestra haben einige der traditionellen Son-Kompositionen, von denen
die meisten zwischen 1920 und 1960 entstanden, neu eingespielt. Sie
zeigen dabei die unterschiedlichen Facetten des Sounds in Bezug auf
die Gesangsharmonien, Rhythmus, Tempo und Instrumentierung. Percussion-dominierte
Lieder ("el paso franco-bardo") werden von Songs in klassischer
Call&Response-Tradition kontrastiert ("Pa' quien un pollito",
"No hay como mi son").
Ein
Wort fällt im Booklet immer wieder auf: Improvisation. Sie ist
als Stilelement für den echten Son unverzichtbar, worin wiederum
eine Analogie zum Jazz sichtbar wird. Allen Instrumentalisten die
Gelegenheit zur spontanen Interaktion zu geben, dient der atmosphärischen
und rhythmischen Verstärkung - und selbstredend der Darstellung
der Virtuosität der Musiker. Solcherlei Profilierung haben die
Mitglieder von Sierra Maestra nach einer mehr als 20-jährigen
Karriere nicht mehr nötig, doch das Temperament ihres Sounds
erfährt hierdurch eine deutliche Verstärkung, und man mag
sich vorstellen, wie sich die Musiker bei Livekonzerten gegenseitig
anfeuern, um die elektrisierende Wirkung der musikalischen Seele Kubas
vollends zu entfalten.
©
Michael Frost, 22.08.2005