Suchen nach:
In Partnerschaft mit Amazon.de

Süß aussehen und
Refrains trällern?
- Nein Danke!


Auf dem Albumcover gibt sie sich wie eine verstoßene Schwester von Marilyn Manson, doch hinter der provokanten Schminke verbirgt sich eine vergleichsweise harmlose Seele mit großer Zukunft: Jenny Wilson, deren Solo-Debüt mit dem schmachtenden Titel "Love and Youth" zu einem der interessantesten Musikexporte der an Highlights nicht eben armen schwedischen Musikszene avanciert.

Ungemein wandlungsfähig ist die an der schwedischen Südküste aufgewachsene Sängerin. Auf ihrer Website präsentiert sie sich mal im wallenden Ballkleid, mal im strengen Ornat, und auf der Rückseite von "Love and Youth" sieht man sie mit blutenden Nase - vielleicht ein Symbol für die Blessuren vergangener oder gegenwärtiger Adoleszenzkonflikte. Den 'tatsächlichen' Grund verrät sie in "Summertime - the roughest time": "My nose is bleeding from rubbing it into books ... I'm working hard on an intellectual look ..."

Niemand würde das abstreiten. Jenny Wilson wollte ursprünglich Schriftstellerin werden. Sie besuchte Literaturkurse in Malmö, doch als sie erstmals die Musik von P.J. Harvey hörte, "stand meine Welt Kopf". Also begann sie ihre Texte zu vertonen: "So I made songs, taped 'em on my machine, sent cassettes to a record company ..." So erzählt Jenny Wilson im Song "Bitter? No, I just love to complain". Ihren Songs fehle der Refrain, sei ihr dort ablehnend beschieden worden, verbunden mit dem untauglichen Rat: "Swing and sway, be colorful and sweet - or you just waste my time".

Also habe sie erstmal Flure gefeudelt und Hotelbetten gewischt, während sie ihre Songs in ihrem Kopf bewahrte - und auf den richtigen Augenblick hoffte. Süß sein und Refrains trällern, das jedenfalls ist ihre Sache nicht: "Don't care about what people say // don't think about the consequences - just think about yourself".

Nach zwei Alben mit ihrer darauf hin gegründeten Band "First floor" folgt nun das erste Soloalbum. Von ihrem Idol P.J. Harvey hat sich Jenny Wilson deutlich emanzipiert. Ihrem Ziel, einen individuellen Ausdruck, eine "eigene Sprache" zu finden, ist sie dabei schon fast beängstigend nahe gekommen. Zwar erkennt man ihre Verwandtschaft zum Elektropop des Gespanns Roisin Murphy/Matthew Herbert oder dem Jazz der Dänin Susi Hyldgaard, doch im Gegensatz zum oft kühlen Sound ihrer Kolleginnen hat ihre "Sprache" immer etwas Verspieltes, Schräges, Überdrehtes, manchmal auch Chansonesques, das an das legendäre französische Elektro-Punk-Pop Duo Les Rita Mitsouko erinnert.

Wie Catherine Ringer, die Rita-Mitsouko-Sängerin, verfügt auch Jenny Wilson über die Fähigkeit, die Stimme wie ein Instrument zu modulieren. In "Those winters" zeigt sie sich introvertiert und schüchtern mit leiser Stimme und dunklem Hintergrund, doch bereits der Albumopener "Crazy summer" präsentiert eine ganz andere Jenny Wison: fröhlich, ausgelassen, selbstbewusst.

Sie habe mehr Filme verschlafen als gesehen, bekennt sie an anderer Stelle, und vermutlich lässt sich diese Aussage auch auf die Musik übertragen. Die macht sie nun deshalb also lieber selbst. Zu unser aller Glück.

© Michael Frost, 12.03.2006

Tipps zu ähnlichen CDs und Bands:

Les Rita Mitsouko, P.J. Harvey, Kate Bush, Roisin Murphy, Susi Hyldgaard, Björk, Tori Amos

[Archiv] [Up]