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Eigenartiges Phänomen


In keiner der zahlreichen Biografien über Kate Bush fehlt diese Anekdote über den Beginn ihrer Karriere: Nach Absagen anderer großer Plattenfirmen handelte sie der EMI 1974 einen kuriosen Vertrag ab. Darin ließ sich die damals vollkommen unbekannte Sängerin völlige künstlerische Freiheit garantieren und drei Jahre lang Unterricht in Tanz, Aussprache und Komposition finanzieren - ohne in der Zwischenzeit auch nur eine einzige Aufnahme veröffentlichen zu müssen.

Vermutlich wird diese Geschichte heute deshalb so oft hervorgehoben, weil sie für die Musikbranche heutzutage völlig undenkbar erscheint. Doch in David Gilmoure (Pink Floyd) verfügte Kate Bush damals über einen einflussreichen Fürsprecher, der fest an sie glaubte, ihr diesen einzigartigen Deal ermöglichte - und Recht behielt.

Denn als Kate Bush, tatsächlich erst drei Jahre nach Vertragsabschluss, ihre Debüt-Single und kurz darauf das Album "The kick inside" veröffentlichte, stand die Musikwelt Kopf. Teils aus Ratlosigkeit, doch in der übergroßen Mehrzahl fasziniert und begeistert: so etwas hatte man nie zuvor gehört.

Denn schon auf "The kick inside" eröffnete Kate Bush einen tiefen Einblick in ihre musikalischen Visionen. Viele ihrer Songs, so bereits ihr erster Charthit "Wuthering heights", sind in Wahrheit Mini-Opern, deren Klänge aus der Psychedelic der 60er Jahre, Klassik, Glamrock, Volksmärchen, avantgardistischem Ausdruckstanz und Walgesang gespeist werden. Gemeinsam mit ihrem mehrere Oktaven umfassenden Gesang - die sie auf ihren frühen Alben manchmal bis zur Schmerzgrenze ausreizte - schuf sie eine ebenso eigenartige wie einzigartige Welt aus Musik, die sich gewohnten Gesetzesmäßigkeiten bewusst zu entziehen schien.

Immer wieder überschritt sie gezielt die Grenzen musikalischer Genres. Für "The sensual word" und erneut für "The read shoes" holte sie den späteren Stargeiger Nigel Kennedy ins Studio und sie machte das aus dem Chor "Le Mystere des Voix Bulgares" hervorgegangene Trio Bulgarka weltberühmt. Ihre Tanzperformances gelten heute als Vorläufer der Popchoreografien, mit denen u.a. Madonna berühmt wurde. Sie coverte Elton Johns "Rocket man", sang mit Prince ("My computer", 1996) sowie mehrere unvergessliche Kooperationen mit Peter Gabriel ("Don't give up").

Trotz ihrer raren öffentlichen Auftritte (ihren ersten Fernsehauftritt außerhalb Englands absolvierte sie übrigens 1978 in Alfred Bioleks Kult-Show "Bios Bahnhof") und der vergleichsweise wenigen Veröffentlichungen ist sie bis heute die wohl einflussreichste britische Musikerin, die den Weg für Kolleginnen wie Sineád O'Connor, Björk und Tori Amos bereitete. Alison Goldfrapp, Stimme des gleichnamigen Triphop/Elektro-Duos, erzählte kürzlich in einem Interview, dass sie, während ihre Freunde auf Ravepartys gingen und Ecstasy nahmen, zu Hause geblieben sei um Kate Bush-Platten zu hören. Das habe die gleiche Wirkung wie Ecstasy auf sie gehabt.

Angesichts des Erfolgs, den Kate Bush sowohl in künstlerischer als auch in kommerzieller Hinsicht erzielen konnte, gilt sie heute als Phänomen der Popgeschichte. Auf ihrem Album "Hounds of love" (1985) vereinigte sie das, was in intellektuellen Diskussionsrunden als U(nterhaltungs-) und E(rnste)-Musik auseinanderdividiert wird. Ihre Hits wie "Cloudbusting", "The big sky" und vor allem "Running up that hill" sind Dance-Klassiker der 80er Jahre. "Dieses Album zeigt die gesamte Bandbreite ihres Talents" schrieb Peter Fitzgerald Morris 1997, als EMI das Album anlässlich des 100. Geburtstages der Plattenfirma als eine der herausragendsten Produktionen der Firmengeschichte auswählte und in einer remasterten Version neu veröffentlichte. Auch heute, zwanzig Jahre nach der Erstveröffentlichung, hat ihr unbestrittenes Meisterwerk nichts von seiner gewaltigen Spannung, der Fülle an Ideen, den verwunschenen Rhythmen und faszinierenden Geschichten verloren. Letztere hielt sie gar in einem Videoclip zu "Cloudbusting" fest, in dem sie gemeinsam mit Donald Sutherland zu sehen ist.

Alles in allem überrascht das gewaltige Medienecho also kaum, das Kate Bush selbst im Dezember mit dieser eMail an ihren britischen Fanclub auslöste:
"Hello Everyone, Many thanks for all your great letters of support and encouragement - they mean such a lot. The album is nearly finished now and will be out next year - we'll let you know when. It features some beautiful orchestral movements by Michael Kamen - we had a wonderful day together at Abbey Road Studios last winter. I'm so pleased with everyone's work on this record. There are some lovely performances and I hope you will all feel it's been worth the wait. Bertie keeps me very busy, he is so much fun and we are all really looking forward to Christmas. Wishing you a Merry Christmas and I hope next year is a really happy one for you. Lots of love, Kate x"


Inzwischen wurde die Hoffnung der Fans endlich Realität. Im November 2005, immerhin zwölf Jahre nach ihrem letzten Album "The red shoes", liegt das neue Album in den Läden. Wie zur Entschädigung ist es ein Doppelalbum geworden: "Aerial". Schlimmstenfalls aber ist es deshalb so lang geworden, weil es wieder für zwölf Jahre reichen muss? Hoffentlich nicht.

 

© Michael Frost, 01. Januar 2005
Update: 04. November 2005

 

 


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