Ein
Gesicht, so magisch wie ein Charakter aus García Márquez'
Roman "Hundert Jahre Einsamkeit"; Gesang, so pathetisch wie
die Musik in den Filmen Pedro Almodóvars; eine Stimme wie in
Tequila gebadet; Geschichten, so prachtvoll und farbenfroh wie die Bilder
Frida Kahlos; Erzählungen vom vom Leiden und der Leidenschaft eines
ganzen Landes - vielleicht gar eines ganzen Kontinents. Chavela Vargas
ist zweifellos eine der größten lebenden Sängerinnen
überhaupt.
Für
"Cupaima" hat sie einige ihrer Titel nochmals eingesungen
und mit Instrumenten aufgenommen, die aus der prä-kolumbianischen
Zeit stammen. So entstand ein Bekenntnis zu den Wurzeln Lateinamerikas,
bevor es so genannt wurde - und, wie ihre Plattenfirma es nennt, "ein
Vermächtnis". Denn Chavela Vargas feiert im April ihren
88. Geburtstag. Erst im vergangenen Herbst beendete sie ihre Bühnenkarriere,
mit einem Abschiedskonzert im Stadttheater von Mexico City.
Mexiko
ist ihre große Liebe. Als 14-Jährige kam sie aus Costa
Rica dorthin und begann alsbald ihre Karriere als Interpretin traditioneller
Boleros und Rancheras. Ursprünglich galt diese Musik als Domäne
männlicher Sänger, doch Chavela Vargas muss schon früh,
in den 1950er Jahren, einen so eigenen und unverwechselbaren Ausdruck
gefunden haben, dass sie schnell zur berühmtesten Interpretin
des Landes wurde.
Im
Laufe der Jahre verkehrte sie mit den größten Berühmtheiten
Lateinamerikas. Sie sang und trank mit Frida Kahlo, mit Pablo Neruda
und García Márquez verbindet sie enge Freundschaft.
Was die Dichter mit Worte beschreiben, legt sie allein in ihre Stimme.
Chavela Vargas kann auf aufwändige Begleitung verzichten. Die
der aktuellen CD beiliegende Bonus-DVD zeigt sie bei den Liveeinspielungen
ihrer Lieder im Aufnahmestudio. Sparsame Percussions und filigranes
Gitarrenspiel bilden den Rahmen, vor dem Chavela Vargas fast regungslos,
die Augen hinter einer schwarzen Sonnenbrille verborgen, nicht nur
ihr eigenes Inneres nach außen kehrt, sondern unmittelbar auch
die Seele der Zuhörer zutiefst berührt.
Ihr
ganzes Leben scheint in dieser Stimme zu liegen, die Alkohol-Exzesse
früherer Jahrzehnte, die Begegnungen mit Politikern und einfachen
Menschen, die Reisen, die sozialen Spannungen und ökonomischen
Verwerfungen, und immer wieder "Mexico", der Name des Landes
als magische Beschwörungsformel. Der Gesang ist so dunkel wie
ihre Brille, rau und aufgewühlt, vom Leben gezeichnet, voller
Trauer, und gleichzeitig voller Energie und Leidenschaft.
In
Europa gewann Chavela Vargas ab 1990 ungeheuer an Popularität,
nachdem sie sich zehn Jahre vorübergehend aus dem Musikleben
zurückgezogen hatte. Werner Herzog überredete sie zu einer
Rolle in seinem Film "Schrei aus Stein", und später
baute Pedro Almodóvar ihre Songs in den Soundtrack seiner Filme
"Die Waffen einer Frau" und "Mein blühendes Geheimnis"
ein. Seither ist ihre Musik immer wieder von Filmemachern verwendet
worden, sowohl in der Verfilmung des Lebens von Frida Kahlo als zuletzt
in "Babel", Oscar-nominierter Film ihres Landsmanns Alejandro
González Iñárritu. Chavela Vargas ist mit dem
von Frank Dominguez geschriebenen Stück "Tú me acostumbraste"
zu hören.
Doch
"Piensa en mi", geschrieben von dem Argentinier Agustin
Lara und von Pedro Almodóvar für den Soundtrack zu "Mein
blühendes Geheimnis" , ist seither das wohl ihr markantestes
Stück. "Wenn du mein Leben nehmen möchtest // ich will
es nicht // es zählt nicht // ohne dich ist es für mich
wertlos ...", heißt es darin, fast ein Sinnspruch über
Chavela Vargas' symbiotische Beziehung zu ihrer Musik. Ihr eigenes
Geheimnis lüftete sie übrigens wenige Jahre später.
Das im Jahr 2000 öffentliche Bekenntnis lesbisch zu sein, ist
dabei nur ein weiteres Zeichen für den Mut, die Kompromisslosigkeit
und die Vorbildfunktion der streitbaren Humanistin Chavela Vargas.
"Cupaima"
erscheint als CD mit einer beiliegenden Bonus-DVD mit einer 100-minütigen
Dokumentation der Studioaufnahmen und einem ausführlichen Interview
mit der Sängerin. Die DVD ist mit englischen Untertitels versehen.
Die CD enthält ein 20-seitiges Booklet mit allen Texten und
englischen Übersetzungen.
©
Michael Frost, 18.03.2007