vorschau Lila Downs Tourdaten

 

Suchen nach:
In Partnerschaft mit Amazon.de

Stimme der Hoffnung


Ziemlich genau 3.110 Kilometer lang ist die Grenze zwischen Mexiko und den USA. Sie gehört heute zu den am besten bewachten Grenzanlagen der Welt, an der allein zwischen 1994 und 2002 über 2.000 illegale Flüchtlinge aus Lateinamerika starben, so die Kulturwissenschaftler Manuel Valenzuela und Norma Igleias in einem Interview mit der taz. Heute ist die Grenze lediglich von den USA in Richtung Mexiko durchlässig. Von den Mexikanern dagegen wird sie als unüberwindliche Mauer empfunden; und wem die Überwindung dennoch gelingt, auf den wartet ein Leben am unteren Rand der US-Gesellschaft, illegal und damit völlig recht- und schutzlos.

Das Schicksal dieser Migranten ist der Ausgangspunkt der Musik von Lila Downs. Sie gehört zu den wenigen Mexikanern, die das Leben auf beiden Seiten der Grenze kennen: sie wurde in Oaxaca geboren, wuchs in Minnesota auf, wo sie später auch studierte. Anschließend kehrte sie nach Mexiko zurück. Zurück? Für sie war das Leben in Oaxaca zunächst fremd, doch schon bald verstand sie die schicksalhafte Beziehung zwischen beiden Staaten. "In Oaxaca wurde ich gebeten, Totenscheine von jungen Männern, die auf Arbeitssuche in die USA gegangen waren, vom Englischen ins Mixtekische zu übersetzen. Ihre Verwandten wollten wissen, wie sie gestorben waren."

Hinter jedem Totenschein verbarg sich die Geschichte eines Menschen. "Ich musst einfach darüber singen, um ihr Andenken zu ehren." Später widmete sie den mexikanischen Migranten ein ganzes Album, das sie "Border/La linea" nannte. Das Album markiert eine Standortbestimmung, denn Lila Downs ist spätestens seit dieser Veröffentlichung viel mehr als eine Folklore-Interpretin, deren Platten man zu Tequila-lastigen Texmex-Partys spielt. Ihre Musik schöpft aus der Tradition der Mexikaner, ihren Boleros, Cumbias und Rancheras, aber auch der indigenen - "prä-kolumbianischen" Kultur, und den Einflüssen, die von jenseits der "Linea" ins Land kamen: Gospel, Hiphop und Jazz.

Inzwischen ist Lila Downs die berühmteste Sängerin ihres Landes, und eine der engagiertesten Stimmen gegen die Unterdrückung der Menschen des oft als "Hinterhof der USA" bezeichneten Lateinamerika. Sie sang an der Seite des Brasilianers Caetano Veloso in der Filmbiografie der Malerin Frida Kahlo (der Soundtrack erhielt einen Oscar), und für ihr voriges Album "One blood/Una sangue" erhielt sie 2005 den "Latin Grammy" in der Kategorie "Bestes Folk Album".

Der Linksruck, der momentan durch den Kontinent geht und nach Venezuela, Brasilien und Bolivien inzwischen auch Chile erreichte, das erstmals von einer Frau - und erstmals seit dem Putsch gegen Salvador Allende wieder von der Sozialistischen Partei - regiert wird, dürfte auch in ihrem Sinne sein. So musste Lila Downs wohl nicht lange gebeten werden, als Vertreterin Mexikos zur Amtseinführung der Präsidentin in Santiago aufzutreten, wohin alle lateinamerikanischen Länder Künstler entsandt hatten.

Inzwischen hat Lila Downs bereits ein weiteres Album veröffentlicht: "La cantina - entre copa y copa". Auch darin erzählt sie Geschichten von Menschen aus Mexiko, etwa von der 14-Jährigen, die vor der Zwangshochzeit in die Stadt floh, wo sie schließlich als "teibolera" endete, beim 'table dance'.

Lila Downs hat ein scharfes Auge für menschliches Leid, Ungerechtigkeit und politischen Missstand. Kaum ein Thema, das ihrem Blick entginge. Dabei ist sie voller Wärme und Verständnis für das Schicksal der Menschen, die sie mit ihrer kräftigen, vollen Stimme besingt, ihr Leben, ihre Liebe und ihr Leid.

Die Musik ist dennoch alles andere als traurig: es ist Tanzmusik, meist fest in der Tradition lateinamerikanischer Rhythmik, doch auch Rockmusik ist ihr keineswegs fremd, wie sie in der englischen Fassung des Albumopeners "La cumbia del mole" beweist. "Tanzmusik macht uns glücklich", sagte sie in einem Interview. Und so hebt sie die unmenschliche Grenze zwischen erster und dritter Welt wenigstens für einen Moment lang auf: eine Stimme der Hoffnung.

© Michael Frost, 30.04.2006

 

[Archiv] [Up]