Es
hat schon einfachere Zeiten für Pazifisten gegeben. Allzumal
für Künstler, die den Pazifismus und die Durchsetzung demokratischer
Bürgerrechte zu ihrem Hauptanliegen erklärten. Die Friedensbewegung
hat es schwer in Zeiten, wo die ganze Welt zum Krieg gegen den Terrorismus
rüstet, Sicherheitsmaßnahmen Priorität gegenüber
Grundrechten eingeräumt wird und selbst ehemalige Ostermarschierern
keinen anderen Weg mehr wissen als Militär noch in die entlegensten
Teile der Erde zu schicken, um den so genannten "Schurkenstaaten"
den Garaus zu machen. Und deshalb finden auch die Stimmen der Friedensbewegung
in solchen Zeiten wenig Gehör.
Für
Joan Baez, 1941 in New York geborene Tochter einer US-Amerikanerin
und ihres aus Mexiko stammenden Vaters, ist Gewalt zur Durchsetzung
politischer Ziele seit jeher nicht akzeptabel. Sie war schon früh
fasziniert von Martin Luther King und der Philosophie der Gewaltfreiheit
Mahatma Gandhis; in der Hauptsache aber lernte sie zunächst Gitarre
spielen und widmete sich dem Folk.
1959
entstand ihre erste Platte bei einem lokalen Label in Boston, die
sie gemeinsam mit Bill Wood aufgenommen hatte. Bereits ein Jahr später,
nach allgemeine Aufmerksamkeit erregenden Auftritten auf dem Newport
Folk Festival, konnte sie bei Vanguard Records ihr erstes Solo-Album,
das schlicht "Joan Baez" hieß, veröffentlichen.
Parallel
zu ihrem kommerziellen Erfolg als Folk-Sängerin (bereits 1963
erhielt sie ihre erste Grammy-Nominierung) baute sie ihre politischen
Aktivitäten aus. Im August 1963 trat sie beim legendären
"Civil Rights March" in Washington auf und sang für
die Massen Pete Seegers "We shall overcome", seitdem eine
Hymne nicht nur der Bürgerrechtsbewegung in den USA, sondern
auch der Anti-Vietnam-Bewegung und der späteren Friedensbewegung
in Europa. Mit der US-Regierung riskierte sie eine offene Auseinandersetzung,
als sie sich weigerte, den vollen Steuersatz auf ihr Einkommen abzuführen
und statt dessen auf ein Sperrkonto einzahlte. Begründung: Die
Regierung finanziere mit Steuermitteln den Vietnam-Krieg.
Gemeinsam
mit Bob Dylan, mit dem sie mehrfach auf Tournee ging, wurde Joan Baez
zur Ikone der entstehenden Hippie-Bewegung. Sie trat in Universitäten
auf, diskutierte mit den Studierenden, machte auf alle Arten von Unrecht
und Diskriminierung aufmerksam und gründete bereits 1965 in Kalifornien
das "Institute for the Study of Nonviolence" (Institut für
gewaltfreie Studien). Ob vor Gefangenen, streikenden Farmern, deutschen
Ostermarschierern, gegen die ehemalige Militärdiktatur in Griechenland,
gemeinsam mit Martin Luther King gegen die Diskriminierung farbiger
Kinder an US-Schulen - Seit Mitte der 60er Jahre gibt es auf der Welt
praktisch keinen Konflikt, zu dem Joan Baez nicht Stellung bezogen
hätte.
Die
Folk-Sängerin wandelte sich im öffentlichen Ansehen zur
Protest-Sängerin, die den staatlichen Institutionen zunehmend
gefährlich erschien. Nachdem ihr 1967 wegen ihrer politischen
Aktivitäten ein Auftritt in Washingtons Constitutions Hall untersagt
wurde, trat sie statt dessen spontan unter freiem Himmel am Washington
Monument auf. 30.000 Leute feierten ihren Auftritt euphorisch. Noch
im selben Jahr wurde sie für ihre Beteiligung an Aktionen zivilen
Ungehorsams zweimal verhaftet und sogar zu einer Haftstrafe verurteilt.
Nach einem Monat Haft wurde sie jedoch überraschend freigelassen:
Die Gefängnisleitung fürchtete öffentliche Aufmärsche
und Happenings am eigentlichen Tag ihrer Entlassung.
Seit
dieser Zeit, spätestens aber seit ihrem Auftritt beim Woodstock-Festival
1969, ist sie eine Legende, unbeugsam und aufrüttelnd, faszinierend
in ihrer spontanen, einfachen und sympathischen Art. Wie kaum eine
andere versteht sie es, allein mit ihrer Gitarre so viele Menschen
in den Bann zu ziehen, eine authentische, feierliche Athmosphäre
zu verbreiten, die dazu führt, dass man zwar zu einem Konzert
mit ihr kommt, aber eine Massendemonstration verlässt, in deren
Verlauf man Teil einer globalen Bewegung für das Gute und gegen
die Gewalt wurde - Gewalt gegen Frauen, gegen Farbige, Kinder, Gewalt
in Nicaragua, Kambodscha oder Südafrika.
Über
die Jahre hat sich Joan Baez ein gewaltiges Repertoire angeeignet,
darunter unzählige Bob Dylan-Titel, Folk- und Protestsongs aus
aller Welt von Bettina Wegner bis Bob Marley. Berühmt aber wurde
sie mit Traditionals und Folk-Klassikern wie "House of the rising
sun", "Silver dagger" und "Donna Donna",
alle bereits auf ihrem ersten Album von 1960, die sie allein mit ihrer
hellen und kristallklaren Stimme interpretiert, sich selbst auf der
Gitarre begleitend. Später gesellten sich natürlich weitere
Instrumente hinzu, aber in der Erinnerung wird sie immer diejenige
sein, die allein mit ihrer Gitarre die Massen be- und verzaubert.
"Gulf
winds", das erste Album, das ausschließlich aus eigenen
Kompositionen bestand, veröffentlichte sie 1975. Da ging der
Vietnam-Krieg der USA gerade zu Ende. Baez tourte erneut mit Bob Dylan
durch die Staaten, 1978 plante sie mit Santana und den Beach Boys
einen Auftritt im damaligen Leningrad, der von offizieller Seite jedoch
kurzfristig abgesagt wurde. Baez traf sich statt dessen in Moskau
mit russischen Dissidenten um Andrej Sacharow und Jelena Bonner.
Rast-
und ruhelos tourt sie noch immer durch die Welt. 1979 gründete
sie das "Humanitas International Human Rights Committee",
dessen Vorsitzende sie 13 Jahre lang war. Die Menschenrechtsorganisation
kümmerte sich um die "Boat people" aus Vietnam, Menschenrechtsverletzungen
in Kambodscha; Anfang der 80er Jahre reiste sie durch die Militärdiktaturen
Argentiniens, Chiles und Brasiliens, begleitet von Auftrittsverboten,
Todesdrohungen und strenger Überwachung durch "Sicherheits-"Kräfte
der Juntas.
Zu
Beginn der 1980er sah man sie auch häufiger in Europa, um die
in vielen Ländern erstarkte Friedensbewegung in ihrer Bemühung
um die Verhinderung des nuklearen Holocausts und weltweite Abrüstung
zu unterstützen. Ihre Auftritte, auf denen sie immer auch an
die schwierige Situation der Oppositionellen in Osteuropa erinnerte,
dokumentierte sie auf dem Album "Live Europe '83". Natürlich
beteiligte sie sich 1985 am "Live Aid"-Projekt, und als
US-Präsident Reagan und Michail Gorbatschow sich 1986 zu einem
ersten Gespräch in Reykjavik traffen, war auch Joan Baez mit
einem Konzert zur Stelle, das vom isländischen Fernsehen live
übertragen wurde.
1988
kam sie mit einer interessanten Kooperation nach Deutschland: Unter
dem Titel "3 Voices" veranstaltete sie diverse Konzerte
gemeinsam mit dem Liedermacher Konstantin Wecker und der argentinischen
Sängerin Mercedes Sosa.
Daneben
sang sie während der "Intifada", dem Aufstand der Palästinenser
in Israel, der Westbank und Gaza, beteiligte sich daraufhin an Aktionen
gegen die Unterstützung der nicaraguanischen Contras durch die
USA, die die sozialistische Regierung der "Sandinistas"
stürzen wollten, in den USA selbst nahm sie an AIDS-Benefiz-Veranstaltungen
teil - dann wiederum trat sie 1989 anlässlich der friedlichen
Revolution der tschechoslowakischen Bevölkerung in Prag auf -
und es versteht sich fast von selbst, dass sie zu den ersten internationalen
Künstlern gehörte, die nach dem Bosnien-Krieg in Sarajewo
auftrat.
Aber:
Allein die Auflistung ihrer Aktivitäten erklärt den Antrieb
dieser außergewöhnlichen Künstlerin nicht. Das pausenlose
Engagement in aller Welt legt den Verdacht einer gewissen Zwanghaftigkeit
nahe, aber ganz im Gegenteil wirkt sie nie wie eine "Besessene",
sie ist alles andere als eine "Petra Kelly des Protestsongs".
Freundlich,
sanft, humorvoll ist sie auch bei ihren Auftritten, urkomisch manche
Geschichte, die sie zwischen den Liedern erzählen kann, so z.B.,
wenn sie sich in Deutschland etwa darüber empört, dass man
hier auf Raststätten dafür Geld verlangt, "to go pipi
on the autobahn", und vielleicht sind es solch kleine Alltagsbegebenheiten,
die ihre besondere Faszination ausmachen, weil sie niemals den Eindruck
der Unfehlbarkeit, des Unverständnisses für menschliche
Schwächen, des "Gutmenschen", der Abgehobenheit oder
arroganter Besserwisserei vermittelt - oder wenn sie die Mikros abschaltet
und am Bühnenrand ganz allein und ohne jede Verstärkung
eine kleine, zum Weinen schöne Serenade a capella intoniert,
die den Saal den Atem anhalten lässt.
Ihre
Popularität als Folksängerin hat sie für ihre politischen
Anliegen zu benutzen verstanden. Manchmal ist die Musik darüber
unverdient in den Hintergrund geraten. Ihre Aufnahmen von Traditionals
und Folksongs sind längst Bestandteile nicht nur angloamerikanischen
Kulturguts geworden.
Deshalb
ist es eine gute Nachricht, dass sich ihre Plattenfirma in den USA
entschieden hat, ihr gesamtes Frühwerk in digitaler Überarbeitung,
unveröffentlichen Bonus-Tracks und zusätzlichen Titel-Informationen
im Booklet neu herauszubringen. Die ersten drei Alben ("Joan
Baez", "Joan Baez 2", "Noel") dieser auf
16 CDs angelegten Serie sind im Oktober 2001 auch in Europa erschienen
und geben einen unmittelbaren Eindruck, der den frühen und bleibenden
Erfolg der Folksängerin Joan Baez deutlich und nachvollziehbar
werden lässt.
MF
/ 29.09.2001