Rodrigo
Leão ist ein Ruheloser. Ein Multiinstrumentalist und Soundtüftler,
ein Neugieriger, einer, der nie still steht und pausenlos nur eines
sucht: den perfekten Klang. Um ihn zu finden, verließ er Madredeus,
die Band, die auch durch seine Arbeit zu dem wurde, was sie noch immer
ist: Portugals erfolgreichste und berühmteste Musikgruppe.
Doch
Rodrigo Leão wollte vor allem aus dem typischen Song-Format
ausbrechen. Sein Ziel galt zunächst der Filmmusik, später
der klassisch inspirierten Ballade mit religiösem Ursprung. Leão
engagierte Gastsängerinnen aus allen Teilen der Welt und ließ
sie nicht nur Portugieisch oder Englisch, sondern auch Lateinisch
singen, was den meditativen und lautmalerischen Charakter nochmals
unterstreichen sollte.
Für
das Komponieren von Filmmusik erscheint Rodrigo Leão aufgrund
dieser besonderen Qualitäten als prädestiniert, und mit
der Musik zu dem Film "A step, another step and then ..."
von Manuel Mozos feierte er tatsächlich schon 1989 seinen ersten
großen Erfolg als Solo-Komponist.
Dem
Kino ist er seither treu geblieben. Im vergangenen Jahr widmete der
dem "Cinema" ein ganzes Album, eine Hommage, die nun auch
in Deutschland erscheint. Das Interesse des internationalen Publikums
dürfte sich dabei sowohl auf Leão selbst als auch auf
seine illustren Begleiter/innen richten, denn "Cinema" enthält
unter anderem einen Song, für den er die Portishead-Sirene Beth
Gibbons als Sängerin gewinnen konnte - und einen weiteren mit
dem japanischen Soundtüftler Ryuichi Sakamoto.
Alle
Gäste rückt er in ungewohntes Licht: Beth Gibbons ("Lonely
carousel") intoniert mit brüchigem Bühnen-Timbre eine
verwaschen-trübsinnige Polka, an der auch Kurt Weill seine Freude
gehabt hätte: "We can't escape // we have to attend //
it's life you see". Zwischen Elegie und impulsiver Lebensfreude
wechselt dann seine Interpretation der "Göttliche Komödie"
("A comédia de Deus"): Weinende Geige, Tuba und Akkordeon
sind Teil seiner Phantasie.
Die
"Comédia de Deus" bleibt jedoch eine Ausnahme: die
übrigen Kompositionen sind eindeutig im Hier und Jetzt angesiedelt,
was dem Album sehr gut tut: in Leãos Kino besiegt die Intimität
das Pathos.
Rodrigo
Leão lässt in seinen "Cinema"-Kompositionen
Geschichten auf Portugiesisch, Französisch und Englisch erzählen,
andere wiederum kommen ganz ohne Sprache aus. In diesen Momenten übernehmen
portugiesische Gitarren, das Akkordeon oder auch das Keyboard die
Erzählerfunktion.
Doch
die größten Momente gehören eindeutig den Sängerinnen.
Neben Beth Gibbons faszinieren auch die Stimmen von Helena Noguerra,
Sónia Tavares und der Brasilianerin Rosa Passos, die den vielleicht
schönsten Song des Albums vorträgt.
Egal,
ob man jedes oder überhaupt kein Wort versteht: die Stimmen sprechen
für sich, und Rodrigo Leão erzählt seine Geschichten
in klangvollen Bildern, Walzern, Bossanova, Fado, Chanson und Folklore.
Er
sei im Internet ganz zufällig auf die Seite von Rodrigo Leão
gestoßen, schrieb jüngst ein italienischer Fan in das Gästebuch
des Musikers. Prompt habe er sich in die Musik Leaos verliebt, die
ihm sofort in Herz und Seele übergegangen sei. Eine Wirkung,
wie sie nur großes Kino erzielen kann.
©
Michael Frost, 24.02.2006