Bereits
zu Beginn des 2003, als "Out of Season" auch in Deutschland
veröffentlicht wurde, hatte man den Eindruck, dass dieses Album
am Jahresende in vielen Bestenlisten weit oben stehen würde:
Beth Gibbons, die Stimme von Portishead, und Paul Webb alias "Rustin'
Man", Bassist bei Talk Talk, schufen ein Album, alles andere
als "Out of Season", aber außer Konkurrenz.
"God
knows how I love life". So beginnen die ersten Worte des
zerbrechlich schönen Openers "Mysteries". So viel Lebensbejahung
hätte man Beth Gibbons bis dahin gar nicht zugetraut. Ihr melancholischer,
oft auch depressiver Gesang wurde in den 90er Jahren Vorbild für
eine ganze Serie junger Nachwuchsbands, die mit Samples und Orchestersounds
arbeitetn und ihre Experimente mit introspektiven Frauenstimmen veredelten.
Doch Beth Gibbons blieb immer unerreicht.
Trotz
der optimistischen Töne auf "Out of Season" mag sie
ihre Grundhaltung jedoch nicht aufgeben: "Ich finde es schwer",
sagt sie, "fröhliche Songs zu schreiben, ohne nicht auch
ein wenig melancholisch zu klingen."
Die
verhaltenen Lieder gelingen ihr dafür umso besser. Mit Paul Webb
verzichtet sie weitgehend auf Samples und Turntables. "Mysteries"
kommt sogar mit einer einzigen akustischen Gitarre aus, deren betont
schlichtes Akkordmuster aus einem Anfängerkurs stammen könnte.
Im Verlauf des Songs gesellt sich ein kleiner Hintergrundchor dazu
und gibt dem Ganzen eine verstörend anheimelnde Atmosphäre,
die man von Portishead in dieser Form nicht gewohnt war. Die Kunst
besteht darin, dass "Out of Season" dennoch niemals auch
nur in Sichtweite von Kitsch oder Songwriter-Pathos abgleitet.
Gesang
und Stimme bilden hörbar den Mittelpunkt, an dem sich Harmonien
und Arrangements orientieren, wie in "Show", bei dem Gibbons
nur von Klavier, Cello und Flöte begleitet wird. Allein ihre
sanfte, bald brüchige, dann wieder Abgründe offenbarende
und in jeder Sekunde unfassbar grandiose Stimme schafft ein ungeahntes
Maß an bedrängender Intimität, das weit über
die bisherigen Portishead-Arbeiten hinausgeht. Schon vergleicht man
sie mit einer der größten Sängerinnen des vergangenen
Jahrhunderts: Billie Holiday.
Nur
"Tom the model" erinnert mit seinen ausladenden und treibenden
Streicher- und Bläsersequenzen an Portishead und die Zusammenarbeit
mit Orchesterchef Nick Ingman. Tatsächlich zeichnet Ingman auch
hier wieder verantwortlich. Es bleibt jedoch das einzige Stück
in dieser Hinsicht, denn "Out of season" ist vor allem ein
Album, das ohne Beats funktioniert und sich jedem Versuch der stilistischen
Zuordnung konsequent entzieht.
Die
naturalistische Färbung der Sounds unterstreicht der inhaltliche
Bezug zum Lauf der Jahreszeiten, der in unterschiedlichen Facetten
in fast allen Stücken betrachtet wird. Daneben hat dieses Album
nur ein einziges Thema: Beth Gibbons selbst.
Die
begeisterte Resonanz von Kritikern und Publikum auf das Album zeigt,
dass die Befürchtung von Beth Gibbons, "Out of Seasons"
treffe womöglich nicht den "Ton der Zeit", gänzlich
unbegründet war. Im Gegenteil: Es ist das Album, auf das wir
alle gewartet haben.
©
Michael Frost, 08. Februar 2003
Update: 13: Dezember 2003