Bei
den Aufnahmen zu "Salt" habe er den Karneval im Kopf gehabt,
erzählt Arto Lindsay über sein neues Album. Der in Brasilien
aufgewachsene US-Amerikaner hat allerdings seinen ganz eigenen Zugang
zu den Samba-Paraden von Rio de Janeiro und Bahia gefunden, und der
ist erwartungsgemäß weitaus intellektueller und reflektierter
als das impulsive Großereignis auf den Straßen brasilianischer
Metropolen.
Dafür
sorgt schon seine sanfte, im Stil der großen Bossanova-Interpreten
interpretierende Stimme, in der immer eine melancholische Note mitzuschwingen
scheint. Lindsay beherrscht diese Modulation des eigenen Ausdrucks
wie kaum ein zweiter Musiker und ist sogar in der Lage, sie nicht
nur in die brasilianischen, sondern auch auf seine englischsprachigen
Titel zu übertragen. Hinzu kommt sein Interesse an elektronischer
Musik. Die kühle und distanzierte Wirkung digital erstellter
Beats stellt er bewusst in Kontrast zu den leidenschaftlich pulsierenden
Latin-Rhythmen. "Salt" könnte somit in der Kategorie
"Electronica" als auch "Latin" für das Album
des Jahres nominiert werden.
"Salt"
- Salz - hat einen essenziellen Charakter. Das gilt sowohl für
das Gewürz wie auch das Album. Lindsay hat sein Album ohne aufwändige
Begleitung eingespielt. Gemeinsam mit seinem langjährigen Bassisten
und Co-Autor Melvin Gibbs und den Drum-Programmierern Kassin und Berna
Ceppas entwickelte er zehn Songs, die sich dem Zuhörer - je nach
Bedarf - auf ganz verschiedenen Ebenen erschließen: als zeitgemäßer
Latin-Pop, als Erweiterung von Drums&Bass, als Variante von Electronica,
als gelungene Integration von Nord- und Südamerika. Die überraschende
Komplexität der Soundstrukturen, die sich unterhalb der rhythmischen
Oberfläche entdecken lässt, erscheint geradezu als Wasserzeichen
der herausragenden Fähigkeiten von Arto Lindsay und seinen Partnern.
"Salt"
beweist, dass Arto Lindsay nicht von ungefähr einer der gefragtesten
Musiker und Produzenten überhaupt ist. Er arbeitete vielfach
u.a. mit David Byrne, Ryuichi Sakamoto, Laurie Anderson, Brian Eno
und Caetano Veloso, bevor er sich auf die Arbeit an seinen eigenen
Alben konzentrierte. Er hat es dabei nie auf den großen kommerziellen
Durchbruch abgesehen; wichtiger war ihm stets die künstlerische
Unabhängigkeit. Vielleicht auch deshalb ist er nicht bei einer
der internationalen Plattenfirmen unter Vertrag, sondern bei Ani DiFrancos
New Yorker Independent-Label "Righteous Babe".
©
Michael Frost, 14. Mai 2004