Der
Plot kommt einem irgendwie bekannt vor: Handlungsort ist eine Karibikinsel
mit reicher kultureller Tradition, einer musikalischen Blütezeit,
die ein wenig in Vergessenheit geriet, einer Handvoll Heroen vergangener
Zeiten, die sich auf ihre alten Tage noch einmal zur Höchstform
aufschwingen, ihre alten Rhythmen ausgraben, an historischem Ort neu
aufnehmen, einen Film über die Einspielungen drehen lassen und
daraufhin die Tanzflächen weltweit zum Beben bringen. Wer jetzt
an die sagenhafte Erfolgsgeschichte der kubanischen Musiker des "Buena
Vista Social club" denkt, liegt nicht gänzlich daneben.
Doch
die Geschichte des "Dirty Jim's Swizzle Club" spielt ein
paar Inseln weiter, auf Trinidad, Heimat des Calypso. Der wurde in
Europa und Nordamerika vorwiegend durch Harry Belafonte populär,
fast schien es, als hätte er ein Monopol auf den Sound. "Banana
boat" und "Mathilda" sind Evergreens, die jedermann
kennt, selbst wenn man sich ansonsten für die Musik der Karibik
weniger interessiert.
"Dirty
Jim's" war in den 50er Jahren einer der angesagten Nachtclubs
in Port of Spain, Trinidadas Hauptstadt. Eröffnet von einem US-amerikanischen
Soldaten in einer ehemaligen Rumbrennerei, wurde der Club zu einem
Treffpunkt der jungen Calypso-Szene der Insel, und zum Begegnungsort
der Einheimischen und der US-Amerikaner. Deren oft ungleiches Zusammentreffen
war schon vorher selbst zum Thema des Calypso geworden: das legendäre
"Rum and Coca Cola", das in der version der Andrew Sisters
um die Welt ging, erzählt in den Original-Lyrics von den Mädchen
und Frauen Trinidads, die sich an die Amerikaner verkauften, um überleben
zu können. Es ist Calypso Rose, Trinidads Omara Portuondo, die
den Song auf der CD "Calypso @ Dirty Jim's" sowohl in der
entschärften amerikanischen als auch in seiner Originalfassung
vorträgt. Neben ihr fanden sich viele weitere Mitstreiter vergangener
Tage zu den Aufnahmen zusammen, begleitet von Trinidads letztem traditionellen
Calypso-Orchester, Conga-Spielern, zwei Backgroundsängerinnen
und der Bläsersektion des Polizeiorchesters von Port of Spain.
Wohlgemerkt:
Wenn an dieser Stelle mehrfach auf die kubanischen Vorbilder verwiesen
wird, dann nicht, um die Reunion alter "Dirty Jim"-Stars
wie Lord Superior, Relator, Bomber, Mighty Sparror, Mighty Terror
und Calypso Rose in ihrer Bedeutung zu schmälern. Das Gegenteil
soll erreicht werden: Der Schritt, den Calypso von seinem seichten
Schlagerimage zu befreien, erscheint angesichts der vielfältigen
Geschichte dieses Sounds geradezu notwendig, und die Umsetzung geriet
ihren Machern zu Coup. Denn ihnen gelingt es, die Ursprünge des
Calypso aufzuzeigen und ihn aus der US-amerikanischen Okkupation zu
befreien. Ursprünge wie der Zwang zu kultureller Selbstbehauptung,
als Ventil gegen soziale Missstände werden sichtbar, und zwar
häufig genug in überraschender Deutlichkeit. "Jean
and Dinah" etwa feiert den Abzug der amerikanischen Truppen von
der Karibikinsel.
Beherrschender
Eindruck ist allerdings, mit welch großer Portion Humor die
Texte verfasst wurden. Mit augenzwinkernder Ironie besingt Relator
die Geschichte eines Mannes, der auf der Suche nach seiner Braut immer
wieder neue uneheliche Kinder seines Vaters trifft. Selbst Bob Marley
coverte diesen Song ("Shame and scandal in the family")
und abschließend sei beispielhaft der weise Rat des Songs "Ugly
woman" zitiert: "If you want to be happy living a king's
life // Never make a pretty woman your wife // All you got to do is
just as I say // always marry a woman uglier than you".
©
Michael Frost, 01.06.2005