DER LANGE WEG ZUR FREIHEIT
"An Anthology of Black Music"

Die eindrucksvolle Dokumentation von Harry Belafonte über drei Jahrhunderte schwarze Musik in Nordamerika

Die Aufarbeitung eines der wichtigsten Kapitel der Geschichte Nordamerikas seit der Besiedlung durch europäische Einwanderer hat sich Harry Belafonte zu einer Art Lebensziel gemacht. Dem Schicksal der aus Afrika nach Amerika deportierten Sklaven und ihrer Nachfahren nähert er sich dabei auf eine ganz besondere Weise: Belafonte dokumentiert ihre musikalischen Wurzeln.


Schon 1961 begann er mit den ersten Aufnahmen seines ehrgeizigen Projekts, das eine umfangreiche Dokumentation der Musik der afroamerikanischen Bevölkerung zum Ziel hatte. Zehn Jahre später, 1971, hielt er seine Arbeit für abgeschlossen, und dennoch vergingen dreißig Jahre, bis seine "Anthology of Black Music" tatsächlich herausgebracht werden konnte - und eigentlich reicht ein kurzer Moment des Nachdenkens um festzustellen, wie wichtig diese historische Veröffentlichung ist - weil sie die Geschichte der Afroamerikaner von der Versklavung im 17. Jahrhundert bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts detailgenau nachzeichnet. Und auch der Beginn der Arbeit Belafontes an seinem Projekt ist sicher kein Zufall: In den 60er Jahren erstarkten die wichtigen Emanzipationsbewegungen um Martin Luther King, mit dem Belafonte seit den 50er Jahren eine enge Freundschaft verband.


Durch seine damals schon enorme Popularität (Belafontes berühmtes "Calypso"-Album erschien bereits 1955, daneben war er als Film- und Theaterschauspieler bekannt geworden) wurde Belafonte zu einer wichtigen Repräsentationsfigur der Bürgerrechtsbewegung der Schwarzen. In Europa wurden in den 80er Jahren auch jüngere Generationen auf Harry Belafonte aufmerksam, weil er sich auf den großen Kundgebungen der Friedensbewegung gegen den atomaren Rüstungswettlauf engagierte.
Immer wieder auch galt sein Interesse der politischen und sozialen Entwicklung auf dem afrikanischen Kontinent. Er initiierte internationale Hilfsprojekte, unterstützte den ANC und Nelson Mandela im Kampf gegen die Apartheid und wurde Botschafter von UNICEF, dem angesehenen Kinderhilfswerk der UNO.

Harry Belafonte

vorschau
Harry Belafonte TOUR 2003


Dass dieses umfangreiche Engagement eigentlich den Hauptteil seines Lebens ausmachen, wird seltsamerweise oft vergessen. Vielleicht hat das damit zu tun, dass man in ihm lieber den Entertainer, den "König des Calypso" sehen will, als welcher er zu frühem Ruhm gelangte, doch gerecht wird man ihm damit nicht. Belafonte selbst hat allerdings keine Probleme mit der "seichten" Seite seiner Karriere: "Wir spielen immer noch traditionelles Material wie 'Banana Boat' oder 'Island in the sun'", sagt Belafonte heute, "aber wir haben die alten Sachen verändert. 'Banana Boat' wird sofort erkannt, aber wir präsentieren es heute anders. Mit der Beteiligung des Publikums bleibt es nicht einfach ein Lied; es wird zum Fest."

Mit der "Anthology of Black Music" zeigt Harry Belafonte aber den wirklich wichtigen Teil seines Schaffens. Auf fünf CDs stellt er, unterteilt in zehn Kapitel insgesamt achtzig Musiktitel vor, die von fünfzig Künstlerinnen und Künstlern, darunter natürlich auch er selbst, interpretiert werden. Spirituals, Blues, Folk und die ersten Anzeichen des Jazz sind sicherlich die wichtigsten Linien der Dokumentation. Aber daneben gibt es auch zahlreiche Titel aus dem Alltag: Kinderlieder, Weihnachtslieder, Hymnen und immer wieder die "Work songs", die von den Arbeitern auf den Feldern gesungen wurden.

Mit einem ausführlichen und bewegenden Vorwort begleitet Belafonte die musikalische Auswahl und zeichnet die zahllosen Verbrechen der Weißen sowohl an den afrikanischen Sklavenarbeitern als auch an den indianischen Ureinwohnern Amerikas nach.

Er benennt die unselige Rolle der Kirchen bei der Legitimierung der Versklavung und erinnert auch an die verdrängte Tatsache, dass die historische Schuld gegenüber den Schwarzen nicht allein ein "amerikanisches" Problem ist: Es waren Einwanderer aus ganz Europa, welche die brutale Unterdrückung der Afrikaner einleiteten.

Belafontes Anthologie endet bereits mit dem Beginn de 20. Jahrhunderts, nicht etwa, weil zu diesem Zeitpunkt ein bestimmter Geschichtsabschnitt beendet gewesen wäre, sondern weil der weitere Verlauf seitdem auf Platten festgehalten werden konnte. Die Fortsetzung von "The long road to freedom" schreibt somit die Wirklichkeit selbst mit jeder neuen Album-Veröffentlichung eines afroamerikanischen Künstlers.

Michael Frost, 8. Juni 2002

"The long road to freedom: An Anthology of Black Music"
erschien bei Buddharecords / BMG.

 

Suchen nach:
In Partnerschaft mit Amazon.de

[Up]