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Die Nachbarn
aufgeweckt


Was kann bei einem Suzanne Vega-Konzert eigentlich so spektakulär sein, dass es sich lohnen könnte, es anschließend auf DVD zu veröffentlichen? Sie wird mit ihrer Gitarre auf der Bühne stehen, begleitet von unauffälligen, aber erlesenen Begleitmusikern, das Publikum wird ihren Liedern andächtig und Gedanken verloren lauschen, Suzanne Vega hält die Augen vermutlich geschlossen und erzählt ihre kleinen Geschichten und Monologe mit leiser Poesie in der unverwechselbaren Stimme. Eine CD, sollte man denken, würde völlig ausreichen, um die Atmosphäre ihres Konzerts, das sie 2004 auf dem traditionsreichen Jazz-Festival in Montreux gab, einzufangen.

Und doch ist die DVD etwas Besonderes. Schon der Einstieg - "99,9°F" - ist eine rockige Überraschung. Der Titelsong ihres 1992er - musikalisch wohl anspruchsvollsten - Albums, auf dem sie das Tempo gegenüber ihren vorigen Aufnahmen deutlich anzog, steht dabei stellvertretend für überraschend abwechslungsreiche Setlist des Abends, die an Klassikern wie "Luka", "Marlene on the wall", "Tom's diner" und "Solitude standing" natürlich nicht vorbeikommt, daneben aber eine Reihe nicht minder ausgefeilter, aber weniger berühmter Songs wie "Gypsy", "Blood makes noise", "Solitaire" oder "In Liverpool" enthält, die jeweils ganz unterschiedliche Stimmungen widerspiegeln.

Suzanne Vega erscheint im Kontakt mit ihrem Publikum überhaupt nicht als die introvertierte, vielleicht gar schüchternde Liedermacherin, die man vielleicht erwartet hätte. Sehr freimütig, offen und humorvoll kommuniziert sie mit den Zuschauern, selbst mit der Kamera scheint sie an diesem Abend zu flirten - und ihr Charme ist entwaffnend. Zu einigen Songs erzählt sie die Entstehungsgeschichte, wie etwa zu "When heroes go down", dem ersten Song, den sie jemals geschrieben, für einen frühen Freund, der sich als Künstler nicht zwischen Anarchie und Dadaismus entscheiden konnte.

Suzanne Vega dagegen hat nie einen Zweifel an ihrem Weg gelassen. An ihrer konsequenten Art der Musik, an der ausgefeilten und dichten Atmosphäre ihrer Lieder hat sie nie etwas ändern müssen. So blieben ihre großen Klassiker über die Jahre unverändert, nie hat sie es für nötig befunden, ihnen etwa ein "zeitgemäßes" Korsett verpassen zu müssen - zum Glück, denn die Zeitlosigkeit ihrer Songs war schon immer ihr besonderes Markenzeichen, das sich von ihren frühen Platten bis zu ihrem bislang letzten Studioalbum "Songs in red and grey" bruchlos nachvollziehen lässt. Wenn überhaupt, dann arbeiteten sich andere an ihren Kompositionen ab: "Tom's diner", erzählt sie, feiere inzwischen den 30. Remix, und gemeinsam mit dem Publikum von Montreux entstand an diesem Abend Nummer einunddreißig.

Aus nahezu allen Phasen ihrer Karriere stammen die Songs, die der DVD-Mitschnitt enthält, bedächtige Balladen und großartige Folkpop-Stücke, leise Träumereien und laute Rocksongs, so laut gar, dass sie augenzwinkernd bemerkt, nun seien auch die Nachbarn geweckt worden. Man kann sich deutlich schlimmeres vorstellen, als von dieser einzigartigen Stimme geweckt zu werden.

© Michael Frost, 15.11.2005

Zum Weiterhören:

Keren Ann, Joan Baez, Dawn Landes, Petra Jean Phillipson

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