Eigentlich
wollte er die Musik schon an den Nagel hängen. "Ich guckte
MTV und konnte mich mit nichts von dem identifizieren, was ich dort
sah", sagt Tricky. Für ihn eigentlich keine so neue Situation.
Viel eher müsste er gewohnt sein, selbst der Maßstab für
andere zu sein, die sich dann mit ihm und seiner Musik identifizieren
- und nicht umgekehrt.
So
jedenfalls war es, seit er als Gastsänger auf den ersten Massive
Attack-Alben "Blue Lines" und "Protection" zu
hören war. Tricky profilierte sich anschließend mit ganz
eigenen Visionen zwischen Triphop, Dance, Electro, Drums&Bass,
Rap und Hiphop - und allem anderen, was ihm neu und schräg genug
erschien, mit finster wummernden Bässen unterlegt werden konnte
und der kaputten Welt als Soundtrack diente.
Nun
scheinen die Zeiten, als er sich im New Yorker Underground mit Hardcore-Rappern
zusammentat, allerdings vorbei. Für viele Ohren dürfte zwar
auch sein neues Album "Vulnerable" noch immer düster
und latent aggressiv klingen, doch für Trickys Verhältnisse
ist es die Entdeckung der Leichtigkeit des Seins: "Es ist mein
ehrlichstes und offenstes Album", erklärt Tricky, nie zuvor
habe er dem Zuhörer erlaubt, so viele verschiedene Seiten seines
'wahren Ich' zu entdecken.
Zur
Seite steht ihm dabei eine bis dato völlig unbekannte Sängerin:
Costanza Francavilla. Der Legende, sprich: dem Pressetext zufolge
hatte die Italienerin dem Drummer von Trickys Begleitband nach einem
Konzert in Rom ein Demo mit auf den Heimweg gegeben. Tricky rief sie
nur ein paar Tage später an und holte sie zu sich nach London.
Das Ergebnis ist beeindruckend: Costanza Francavilla steht im Mittelpunkt
von "Vulnerable". Der Titel des Albums ist eine perfekte
Beschreibung ihrer Stimme. Zart und verletztlich wirkt sie, schüchtern
und introspektiv.
Tricky
liefert für ihren gleichbleibend zerbrechlichen Gesang wechselnde
Hintergründe aus gewohnt subversiven Rocksounds, finsterem Hiphop
und flimmernden Breakbeats, die dadurch, dass sie als direkter Gegensatz
zu Francavillas Gesang inszeniert werden, ihren kontroversen Reiz
beziehen.
A
propos reizvoll: Wer schon immer mal wissen wollte, wie wohl Suzanne
Vega klingen würde, wenn sie sich einmal an der Coverversion
eines The Cure-Songs versuchen würde, dem sei nachdrücklich
Track 12 auf "Vulnerable" empfohlen. Darin bemächtigen
sich Tricky und Francaville nämlich des Cure-Klassikers "The
Love Cats" und verwandeln die jazzige Synthiepop-Hymne in eine
zurückhaltene Ballade mit Electronica-Background.
Und
auch die zweite Coverversion des Albums, "Dear God" von
XTC, dürfte angestammte Tricky-Fans überraschen. Beide Titel
bilden den ruhenden Pol des Albums und zeigen Costanza Francavillas
fragile Stimme in ihrer natürlichen Umgebung - während Tricky
nicht er selbst wäre, wenn er letztlich nicht doch seiner Welt
verbunden bliebe, und die ist auch auf "Vulnerable" immer
noch tief- und untergründig genug, um dem eigenen Image treu
zu bleiben.
©
Michael Frost, 17. Mai 2003