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Von der Tarantel
gestochen


Ihr Stich sei schmerzhaft, aber ungefährlich, weiß das Lexikon über die "apulische Tarantel" (lycosa tarentula). Wohl nicht ihr zu Ehren, aber doch mit ihr als Wappentier, veranstalten die Apulier alljährlich ein feuriges Festival: "La notte della taranta" (Die Nacht der Tarantel), in der die musikalische Tradition des mezzogiorno mit Einflüssen aus Rock, Pop, Jazz und Weltmusik anderer Herkunft fusioniert.

Hierzu laden apulische Musiker immer wieder Gäste aus anderen Regionen Italiens und auch aus dem Ausland ein, so z.B. Stewart Copeland, früher Drummer bei The Police. Er beteiligte sich in der Sommersaison 2003 an den "Nächten der Tarantel", und das feurige Abschlusskonzert des Spektakels auf dem Hauptplatz des Agostiner-Klosters von Melpignano in der Provinz Lecce.

Aus der Taufe gehoben wurde das Festival 1998, und seitdem wurden Programm und Teilnehmerzahl beständig erweitert. Unter der musikalischen Leitung von Copeland erreichte es 2003 seinen ersten Höhepunkt. Er engagierte mehr als dreißig Musiker: neben dem Festival-Ensemble selbst traten Ares Tavolazzi (Bass), Giancarlo Parisi (Flöte, Dudelsack und Saxophon), Vittorio Cosma (Tasten), Raiz (Gesang), Teresa de Sio (Gesang), Radiodervish (Akkordeon) und das Percussion-Ensemble Bash auf die Bühne.

Gemeinsam beschwören die Musiker den Geist der pizzica salentina, einem mit der Tarantella eng verwandten Rhythmus. Die Legende besagt, dass, um das opfer - üblicherweise eine Frau - zu retten, die Rahmentrommeln unaufhörlich in einem wirbelnden Rhythmus geschlagen werden müssen. Üblicherweise wird die Pizzica von leidenschaftlichen Tänzen begleitet. Gesungen wird im derben süditalienischen Dialekt, und das Tempo der Stücke wird immer weiter angezogen, bis die Tänzer, Sänger und Musiker einen fast tranceähnlichen Zustand erreichen.

Bei den notti della taranta wird die apulische Tradition der pizzica mit der italienischen und internationalen Moderne miteinander verknüpft; ein Konzept, das sich bewährt und in den vergangenen Jahren bereits internationale Gäste wie die israelische Pop-Interpretin Noa oder den finnischen Akkordeon-Virtuosen Kimmo Pohjonen nach Apulien lockte. Die Aussicht auf eine zehntägige Sommertour durch die süditalienische Provinz dürfte die Musiker zusätzlich motivieren, und so ist ihnen die Euphorie über das gemeinsam geschaffene Werk deutlich anzumerken.

Stewart Copeland - auf seinem virtuosen Drumset liegt ein Großteil der Verantwortung - gibt Tempo und Rhythmus der übrigen Percussions vor, die Sängerinnen und Sänger verstärken die ekstatische Wirkung durch schriller und schneller werdende Vokalakrobatik, und der eigentliche Tanz findet hier auf der Bühne zwischen Männer- und Frauenstimmen statt, sowie zwischen elektrischen und akustischen Instrumenten: zwischen Bouzouki und E-Gitarre, E-Bass und Trommeln, Keyboards und Geigen.

Die der CD-Veröffentlichung beiliegende DVD enthält zwar leider nicht den gesamten Mitschnitt des Abschlusskonzerts von Malpignano, sondern lediglich eine Auswahl von vier Titeln, dafür jedoch eine ausführliche Backstage-Dokumentation mit Kurzinterviews vieler Beteiligter. Wem das nicht reicht, der möge sich am besten selbst auf den Weg machen - zur notte della taranta 2006. In diesem Jahr ist es knapp zu spät: das Abschlusskonzert mit Francesco de Gregori, einem der berühmtesten cantautore Italiens, findet in diesen Tagen, genau am 27. August, in Melpignano statt.

© Michael Frost, 27.08.2005

 

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