Ende
der 80er Jahre mischten Les Négresses Vertes Frankreichs Musikszene
auf. Die schrill-bunte zunächst aus acht Männern bestehende
Combo, angeführt von Sänger und Texter HELNO, dem Pariser
Pendant des damaligen Pogues-Frontmanns Shane McGowan, stürmte
das Plattenstudio für ihr Debut-Album MLAH (1989) und eröffnete
ein Feuerwerk von Sounds und Rhythmen zwischen Latin, Musette, Punk,
bretonischem Folk und Rai.
Kurzum:
MLAH repräsentierten Paris mit allen Facetten der Stadt. Die
Zäsur kam im Januar 1993, kurz nach Fertigstellung von FAMLILLE
NOMBREUSE, als HELNO an einer Überdosis starb. Zu diesem Zeitpunkt
hatten LES NEGRESSES VERTES den Weg bereitet für zahlreiche Künstler
aus der Pariser Ethno-Szene, darunter Rai-"König" KHALED und
MANO NEGRA (deren Sänger MANU CHAO jetzt solo auch in deutschen
Charts landete).
Mehr
als ein Jahr verging, bis die verbliebenen Négresses Vertes
die Rollen in der Band neu verteilt hatten und sich an das HELNO gewidmete
Nachfolgewerk ZIG-ZAGUE machten. Dann wurde es, abgesehen von einer
Doppel-CD mit Live-Aufnahmen der ZIG-ZAGUE-Tour ruhig. Unerträglich
ruhig, man glaubte die Band schon aufgelöst.
Aber
1999 kehrten sie mit TRABENDO zurück, einer seltsamen Platte,
einerseits in der Tradition ihrer Vorgänger, andererseits auch
wieder nicht. Schon nach FAMILLE NOMBREUSE hatten sie Remix-Versionen
ihrer bekanntesten Stücke auf einem Album veröffentlicht
(10 REMIXES). Dort tobten sich u.a. Massive Attack (Face à
la mer) und William Orbit (Zobi la Mouche) aus.
Für
TRABENDO betraten Les Négresses Vertes erneut fremdes Terrain
und holten sich Ambient-Star HOWIE B. ins Studio, dessen Augabe, dem
Ergebnis nach zu urteilen, darin bestand, dem typischen Négresses
Vertes-Sound eine ganz andere Richtung zu geben.
Hiphop,
Drums&Beats, Acid Jazz, TripHop, Computer-Samples - Die ganze
Palette fand Eingang in TRABENDO, und plötzlich klingen Les Négresses
Vertes sphärischer, bizarrer, cooler - aber auch gleichförmiger.
Die Band, deren Musik immer klang, als käme sie live von der
Métro-Station, ist ins Computer-Zeitalter eingetreten, leider
auf Kosten des Feuers, der Leidenschaft, der bissigen und oft ironischen
Interpretation des Pariser Lebensgefühls, allesamt Stärken
früherer Alben.
Vielleicht
ist TRABENDO nur ein Experiment. Möglicherweise ist es der Versuch,
sich dem musikalischen Zeitgeist anzupassen. Beides wäre ja legitim.
Vielleicht aber sind Les Négresses Vertes einfach bloß
erwachsen geworden, und das wäre wirklich schade.
MF
/ 23. September 2000