Seine
Musik läuft nicht im Radio, seine Clips werden nicht im Fernsehen
gezeigt (gibt es überhaupt welche ?), man sieht ihn niemals
in Shows, er meidet alles, was mit üblichem Marketing zu tun
hat. Trotzdem platzen die Konzertsäle in Frankreich aus allen
Nähten, wenn Mano Solo auf Tournee geht. "je suis vivant
!", brüllt er, "VIVANT !", und das Publikum
feiert ihn, der tatsächlich zu den lebendigsten der französischen
Kunst- und Kulturszene gehört.
Mano
Solo ist ein Multitalent: Dichter, Sänger, Maler. Auch darüber
singt er seit seinem Debut 1993. Musikalisch bewegt er sich irgendwo
zwischen Paris und Andalusien, meistens aber in Paris selbst, "seiner"
Stadt, die er gelegentlich betrachtet wie einen Organismus. "Paris
je t'aime, mais pourtant je te hais".
Seine
Lieder instrumentiert er fast ausschließlich mit akustischer
Begleitung: Streicher, Gitarre, Klavier - und mit dem unverzichtbaren,
allgegenwärtige Akkordeon, das den Rhythmus vorgibt und das
Gefühl transportiert.
"Sein
tragisches Tremolo hat das Feeling des Flamenco", schrieb ein
kanadischer Journalist nach einem Auftritt von Mano Solo. Mit einer
Stimme aus Sandpapier flüstert, singt, schreit er in das Mikrophon.
Er ist ein Dichter der Großstadt, der über all das schreibt
und singt, was das Leben in einer europäischen Metropole zur
Jahrtausendwende ausmacht: Wohlstand und Armut, Kreativität
und Lethargie, Wahrheit und Selbstbetrug, Schönheit und Verwahrlosung,
Liebe und AIDS - jeweils Kehrseiten derselben Medaille und Gesellschaft
im fortwährenden Widerspruch, und von diesen Kontrasten lebt
und erzählt die Musik von Mano Solo.
Seine
erste Platte, "La marmaille nue" von 1993, erhielt Newcomer-Preise
in Frankreich. Das vor Ideen schier platzende Album ist dabei eigentlich
die reinste Verschwendung: 15 Lieder - 15 einfallsreiche und einfühlsame
Kompositionen, kontrastiert von brutal offener Wortgewalt, aber
kein Lied dauert länger als dreieinhalb Minuten. In dem Moment,
in dem man sich in eine Melodie verliebt hat, ist sie schon wieder
zu Ende, man spürt geradezu die Hektik und die Ungeduld, mit
der Mano Solo seine Produktion beendete.
Hier
hat jemand gearbeitet, dessen Kreavität überschäumte,
jemand, der es eilig hatte, alles auf die Studiobänder zu übertragen,
als ob er Angst hätte, irgendeine seiner Ideen zu verlieren,
bevor er die Gelegenheit hätte, sie im Studio einzuspielen.
Zum "Werk" gehört stets übrigens auch die selbst
gestaltete "Pochette" zur CD, für die er seine eigenen
Gemälde benutzt. Achtzig Konzerte gab Mano Solo in Frankreich
nach der Album-Veröffentlichung in Frankreich.
Auf
"Les Années sombres", der zweiten CD, ist die gleiche
Energie existent, die auch bei "La marmaille nue" am Werke
war, aber diesmal hat Mano Solo mit den 17 neuen Liedern mehr Nachsicht.
Er gibt seinen Melodien mehr Raum, reizt sie aus und lässt
ihnen Gelegenheit, sich neben den Gedichten und Geschichten seiner
Texte zu entfalten und zur vollen Geltung zu gelangen. Trotzdem
bleibt der Wechsel zwischen den Liedern rasant. Melancholische,
traurige Stücke wie "C'est en vain" stehen im Kontrast
zum rhythmischen, antreibenden und Funken sprühenden "Une
image", das auch aus der Feder der Négresses Vertes
stammen könnte. "Les Années sombres" wird
noch erfolgreicher als als Debut-Album.
Das
Publikum verfolgt Mano Solos Arbeit mit Sympathie, bewundert die
Kraft, mit der er die ständige Gefährdung seiner Gesundheit
und seines Lebens in der Musik verarbeitet. Zu einer Kontroverse
kommt es, als Mano Solo die Franzosen mit "zwei Nachrichten"
schockiert, "einer guten und einer schlechten": "Die
gute ist, dass ich nicht mehr HIV-positiv bin. Die schlechte ist,
dass ich AIDS habe."
Nach
einem Intermezzo mit seiner früheren Band kehrt Mano Solo 1997
mit seinem dritten Album "Je sais pas trop" zurück,
einem sehr intimen und ernsten Album. Die Lieder, Studio- und Liveaufnahmen
wechseln sich ab, schwanken zwischen Resignation und Trotz.
1999
ist er plötzlich wieder da. "Internationale shalala",
wiederum ein Konzert-Mitschnitt, diesmal als Doppel-CD, ist eine
Überraschung. Mano Solo dokumentiert darauf seine Auftritte
im Theater von Tourtour, die er allein, nur von einer Gitarre (Jean-Louis
Solans) begleitet, absolvierte. Das Ergebnis ist wie ein Befreiungsschlag:
Aller Ballast wurde abgeworfen, es bleiben nur der klare Klang einer
aktustischen Gitarre und der eindringliche, unter die Haut gehende
Gesang, ein Experiment, das an emotionaler Dichte kaum zu überbieten
ist.
Nachtrag: Die Intensität seiner Arbeit, ihr radikaler und rastloser Ausdruck, ließ auch auf seinen folgenden Alben nicht nach, bis zu seiner letzten CD "Rentrer au port", die im Herbst 2009 in Frankreich veröffentlicht wurde. Mano Solo starb am 10. Januar 2010. Die Gleichung Musik = Leben vermag aber auch sein Tod nicht außer Kraft zu setzen. In seinen Liedern bleibt er lebendig.
MF
/ 18. Mai 2001 (Update: 12.01.2010)
Zitate und biographische Angaben: www.rfimusique.com