"Sit
down and listen to ..." hieß vor einigen Jahren das live
eingespielte Akustikalbum der belgischen Band Hooverphonic, und dieser
Titel würde als Motto ebenso gut für das neue Album des
australischen Trios Naked Raven passen. Man möge Platz nehmen,
für einen Moment alles hinter sich lassen und sich für einen
besonderen musikalischen Leckerbissen bereithalten.
Naked
Raven gehören seit einigen Jahren zu den Stammgästen auf
deutschen Konzertbühnen. Und von Beginn an faszinierte die Band
mit einer ungewöhnlichen Mixtur aus Songwriterpop und Kammermusik.
Kritiker und Publikum fühlen sich gelegentlich an Tori Amos oder
The Cranberries erinnert. Das liegt vor allem an Janine Maunder (Gesang,
Klavier), der Stimme der Band, doch einen nicht minder gewichtigen
Anteil an der Faszination der eindringlichen, berückend schönen
und atmosphärischen Balladen haben auch Stephanie Lindner (Geige)
und James Richmond (Percussions, Drums). In dieser Besetzung spielte
die Band nun ihr neues - es ist bereits das fünfte - Studioalbum
ein: "Never quite".
Schon
der Opener "Days of the week" steht stellvertretend für
das mutige Konzept von "Never quite", mit dem sich die Band
mehr denn je von dem einengenden Korsett der Popmusik (Strophe-Refrain-Strophe)
befreit: Bei Naked Raven steht der Klang im Vordergrund, und der wird
vor allem durch die intensive Wechselwirkung zwischen Instrumenten
und der glasklaren, ungemein präsenten Stimme von Janine Maunder
erzeugt, ergänzt von der lautmalerischen Wirkung der überwiegend
von ihr selbst geschriebenen Texte, bei denen oft einzelne Wort oder
Zeilen genügen, um sich in der Schönheit des Songs und seiner
Geschichte zu verlieren, am deutlichsten vielleicht gegen Ende des
Albums in dem Song "Clean" mit seinen sanften Wogen: "There's
a new song in my mouth // and a healing in my soul ..."
Alle
drei Bandmitglieder agieren virtuos und beflügeln sich gegenseitig.
Vor allem James Richmonds Percussions verleihen den Songs den nötigen
Drive; er ist es, der Tempo und Rhythmus vorgibt, und auch Stephanie
Lindner findet mit ihrem Instrument eine eigene Sprache, die teils
kontrapunktisch, dann wieder in höchster Harmonie zu den übrigen
Beteiligten steht, darunter übrigens auch eine Handvoll Gastmusiker,
die zum Teil auch zur Livebesetzung von Naked Raven gehören.
Gemeinsam finden sie einen Ausdruck, wie er in der aktuellen Musikszene
nur selten erreicht wird: natürlich, kristallklar, manchmal elegant,
niemals kitschig.
Mit
"Never quite" spielten Naked Raven erstmals ein komplettes
Album in Deutschland - genauer: in den Berliner Traumtonstudios -
ein. Bei den vorigen Produktionen hatte man sich noch nach Australien
zurückgezogen, um dann mit dem fertigen Ergebnis nach Europa
zurückzukehren, wo die Band inzwischen eine treue und stetig
anwachsende Fangemeinde hinter sich weiß. Die dürfte jedenfalls
auch zu diesem neuem Werk der Band begeistert applaudieren, wenn die
Australier im Frühjahr wieder zu ihren Konzerten einladen: Sit
down and listen to ... Naked Raven.
©
Michael Frost, April 2006