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Hommage als
Familienwerk


Die Musikszene Brasiliens ist eine große Familie. Zum Beispiel Miúcha. Die berühmte Sängerin ist die Schwester des nicht minder bekannten Musikers Chico Buarque. In ihrem Elternhaus gingen Künstler wie Tom Jobim und Vinícius de Moraes ein und aus. Letzter soll sogar dafür verantwortlich sein, dass Miúcha das Gitarrenspiel lernte. 1977 traten Miúcha, de Moraes, Jobim und weitere Interpreten gemeinsam in Rio de Janeiro auf: es war ihr erstes Konzert überhaupt. Bereits vorher hatte sie mit Joao Gilberto - einer weiteren Legende - das Album "The best of two worlds" eingespielt. Damals am Saxophon: Stan Getz.

Joao Gilberto hatte sie in Paris kennen gelernt, wo Míucha in den 70er Jahren Kunstgeschichte studierte. Nach ihrer Hochzeit zog es das Paar nach New York, wo auch ihre Tochter Isabel geboren wurde. Nach all dem Namedropping verwundert es wenig, dass auch Isabel inzwischen eine gefeierte Künstlerin ist: Isabel "Bebel" Gilberto ist heute die wohl bedeutendste Erneuerin des Bossanova.

Gemeinsam eröffnen Mutter und Tochter das aktuelle Album-Projekt "Miúcha canta Vinícius & Vinícius ", gewidmet eben dem genannten Vinicius de Moraes (1913-1980), eingespielt anlässlich seines 90. Geburtstags. Vierzehn seiner Standards ließ Miúcha für diesen Anlass zum Teil neu arrangieren und spielte sie während einer fünfwöchigen Session im Studio neu ein. "Wir haben viel gelacht, geweint und getrunken", erzählt sie von den Aufnahmen, was ganz im Sinne des Meisters gewesen sein dürfte, der zu Lebzeiten als berühmt-berüchtigter Partygänger galt und gelegentlich als "personifiziertes Gelage" bezeichnet wurde.

Die Exzessivität des Lebemanns mag aus europäischer Sicht im Gegensatz zur einfühlsamen Poesie seiner Melodien und Texte stehen, doch gerade die brasilianische Musik lebt durch die Symbiose von Sensibilität und Lebensfreude und den raschen Wechsel von melancholischem Chanson zu rasanten Rhythmen. Und weil die brasilianische Musikszene eine große Familie ist, gerät auch Miúchas Hommage an einen der bedeutendsten Musiker des Landes zu einem Treffen von Verwandten: Neben Tochter Bebel ist auch ein Duett Miúchas mit ihrem Bruder Chico zu hören, außerdem ein Duett mit dem langjährigen Weggefährten Toquinho und ein weiteres mit Daniel Jobim, als Enkel von Tom Jobim Angehöriger einer weiteren Bossanova-Dynastie und Mitglied des berühmten "Quarteto Jobim Morelenbaum". Die Kreise schließen sich, und man erkennt, dass ein Tribut-Album aus Brasilien immer auch die Funktion eines Familiestammbaums erfüllt.

© Michael Frost. 08.07.2004

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