Kinder,
die in die Fußstapfen berühmter Eltern treten, haben es in
aller Regel schwerer als andere. Selbst wenn sie schneller Aufmerksamkeit
erregen, werden sie trotzdem immer mit den Eltern verglichen und an
deren Leistungen gemessen. An diesen hohen Ansprüchen der Öffentlichkeit
kann man wachsen aber auch zerbrechen.
Bebel
Gilberto hat sich ganz offensichtlich für die erste und deutlich
bessere Möglichkeit entscheiden können. Die Brasilianerin
ist Tochter der Bossa Nova-Legende João Gilberto, aus dessen Feder
das weltberühmte "Girl from Ipanema" stammt, das von
Bebels Stiefmutter, der nicht minder bekannten Astrud Gilberto gesungen
wurde. Aber auch ihre leibliche Mutter Miucha ist ein Star in Brasilien,
die u.a. mit Antonio Carlos Jobim und sogar Frank Sinatra Plattenaufnahmen
machte.
Ihrer
Mutter gebühre der ganze Dank, sagt Bebel Gilberto rückblickend.
Von ihr habe sie gelernt, wie man man der eigenen Stimme umgeht. Das
lernte sie früh: Bereits im Alter von neun Jahren trat sie mit
ihrer Mutter und Stan Getz in der Carnegie Hall auf.
Der
Weg zur ersten eigenen Platte war somit mehr oder weniger vorbestimmt,
doch Bebel hielt dem Druck, den sie in Brasilien spürte, nicht
stand und verließ das Land. In New York arbeitete sie mit David
Byrne und Arto Lindsey, komponierte einige Lieder, die in ihrer Heimat
zu Hits wurden, 1998, als ihr Vater in New York ein Konzert gab, sang
sie mit ihm ein Duett.
Die
Arbeit zu "Tanto tempo", nach einer 1986 erschienen EP ihrem
ersten Longplayer, begann Bebel Gilberto nach ihrem Umzug nach London.
Herausgekommen ist eine berückende Ansammlung moderner Bossa
Nova-Rhythmen, die derzeit zum Besten gehören, was das Genre
in den letzten Jahren hervorgebracht hat. Für die Weiterentwicklung
des Bossa Nova bringt Bebel Gilberto die besten Voraussetzungen mit.
Sie kennt die traditionellen Sounds, hat in den USA erlebt, wie der
brasilianische Stil mit anderen Stilen gemixt wurde, schließlich
die europäische Club-Szene kennen gelernt und von allem etwas
in die alten und die neuen Lieder eingebracht, die sie für "Tanto
tempo" einspielte.
Mit
"Samba do bençao" befindet sich eine 60er-Jahre-Komposition
der Bossa-Nova-Pioniere Baden Powell und Vinicius de Moraes ebenso
auf "Tanto tempo" wie Eigenkompositionen, die sie bereits
auf ihrer 86er EP veröffentlicht hatte, aber auch ganz neue Stücke.
Sprachlich wechselt sie zwischen Portugiesisch und Englisch, auch
dies neu und vermutlich ein Hinweis auf die gerechtfertigten internationalen
Ambitionen, die sie mit diesem viel versprechenden Debut verbindet.
AG
/ 17. Februar 2001