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Zaungast bei der
Tour de Force


Luca Carboni, so wirkt sein Album auf den ersten Blick, ist müde: Das Cover seines neuen Live-Doppelalbums zeigt ihn schlafend im Tourbus. Die schwarz-weiße Optik verstärkt den Eindruck der Erschöpfung. Ist Luca Carboni, einer der erfolgreichsten unter den italienischen Cantautori, des Tourens überdrüssig ?

Eigentlich unvorstellbar. Doch anders als gängige Livemitschnitte hat Luca Carboni sich entschieden, für seine CD nicht sein aktuelles Tourprogramm aufzunehmen. Statt dessen schickt er seine Zuhörer auf eine 30 Titel andauernde Zeitreise durch seine Tourneen der letzten zehn Jahre, beginnend 1992 mit seiner "Bestiale Tour" und einem anschließenden gemeinsamen Projekt mit Italo-Rapper Jovanotti bis zur "Luca Tour 2002", der Tournee zu seinem bislang letzten Studioalbum "Luca".

So könnte man unter Umständen seine musikalische Entwicklung nachvollziehen. Doch auch hier trifft Carboni eine ungewöhnliche Entscheidung: Die Songfolge verläuft nicht nach den einzelnen Konzertausschnitten; er mischt die einzelnen Tracks quer durch die Jahre und Konzerte. Das Einfühlungsvermögen des Zuhörers wird durch diese Maßnahme auf eine harte Probe gestellt. Eine durchgängige Dramaturgie will sich nicht wirklich einstellen, man bleibt Zaungast auf Carbonis Tour de Force, nimmt die begeisterten Ovationen des italienischen Publikums in Mailand (1992, 1996, 2002) und Bologna (1992, 1998, 2002) beeindruckt, aber ohne wirkliche innere Beteiligung zur Kenntnis - was allerdings auch daran liegen mag, dass seine deutschen Fans leider nur sporadisch die Möglichkeit hatten, Carboni live zu erleben. Bei denen, die seine Konzerte besuchten, wird das Live-Album womöglich lebendiger wirken.

Die herausgehobene Stellung Carbonis in der italienischen Musikszene vermag allerdings auch die eine oder andere kritische Fragestellung nicht zu schmälern. Die ausgewählten dreißig Stücke gehören zu den gelungensten italienischen Rock/Pop-Kompositionen der letzten Jahre. Sowohl seine gesellschaftskritischen Lieder als auch seine gefühlvollen Balladen und Songs haben über die Jahre nichts von ihrer Bedeutung verloren, und noch immer ist seine Kooperation mit Jovanotti, die er bereits vor einigen Jahren auf dem Live-Album "Diario" dokumentierte, ein musikalischer Hochgenuss fern von allen gängigen Italopop-Klischees.

Gehen wir also nicht allzu streng mit Carboni ins Gericht, sondern hoffen, dass er seine Konzertqualitäten demnächst auch einmal wieder in Deutschland unter Beweis stellt. Sofern die Müdigkeit wirklich nur von kurzer Dauer ist.

© Michael Frost, 05. Dezember 2003

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