Die
Ausgangslage hat sich verändert. Als David Gray an seinem 1998er
Album "White ladder" arbeitete, konnte er dies in aller Stille
tun. Zwar hatte er bis dahin bereits vier Alben veröffentlicht,
es damit auch zu einiger Bekanntheit gebracht, aber ein Megastar im
eigentlichen Sinne war er nicht. Das ist er auch jetzt nicht, obwohl
"White ladder" zu einem unheimlichen Erfolg geriet, den David
Gray wohl selbst am wenigsten erwartet hätte, doch Publikums- und
Kritikerzuspruch waren gleichermaßen groß: Sowohl in den
Charts als auch im Feuilleton landete er ganz vorn.
Vielleicht
hatte er, ohne darauf hingearbeitet zu haben, tatsächlich den
Zeitgeist getroffen: Die Ideenlosigkeit des Britpop zum Ende der 90er
Jahre verlangte nach Ablösung, und warum nicht durch einen, der
sich bereits mit handgearbeiteten Sounds, seiner ehrlichen Stimme,
den kleinen ungeschminkten Alltagsgeschichten, zeitlosen (aber nie
langweiligen) Arrangements einen Namen gemacht hatte ?
Wenn
sich die Ausgangslage nun geändert hat, dann deshalb, weil auf
David Gray hohe Erwartungen lasten. Fans und Kritiker verlangen einen
würdigen Nachfolger von "White ladder", nachdem Gray
sich dem wachsenden Druck mit einer zwischenzeitlichen Veröffentlichung
seiner "Lost songs" entzogen hatte. Nun tat er das einzig
Vernünftige: David Gray besann sich auf seine Stärken, schrieb
zwölf Lieder von gewohnt schlichter Eleganz, lud seine bewährten
multi-instrumentalen Begleiter Clune und Iesty Polson in ein kleines
Londoner Studio ein, legte seinen melancholisch-versonnenen Gesang
über deren Einspielungen und freute sich ansonsten, dass ihm
der Erfolg von "White ladder" den Kauf hochwertiger Mikrofone
gestattet hatte, die er für die perfekte Abmischung der Drums
benötigte.
"Wenn
man erst einmal sein Ego unter Kontrolle hat", sagt David Gray,
"kann alles so simpel sein" Und im wohlverstandenen Sinne
ist "A new day at midnight" ein "simples" Album,
leichtgängig, spontan und entspannt, fast wie nebenbei entstanden.
Die unangestrengte Atmosphäre überträgt sich automatisch
auf den Zuhörer.
David
Gray gibt sich alle Mühe gibt zu betonen, er habe nicht etwa
eine platte Kopie von "White ladder" herstellen wollen.
Das ist "A new day at midnight" auch nicht geworden. Es
ist eine Fortsetzung, und zwar eine würdige.
©
Michael Frost, 02. November 2002