|
Die
Renaissance der Quetschkommode Vorbei
die Zeiten, als das Akkordeon lediglich noch im Musikantenstadl ein verkanntes
Schattendasein fristete: Dank der (Wieder-)Entdeckung weltmusikalischer
Einflüsse vom Musettewalzer bis zum Tango Argentino kann das Akkordeon
inzwischen als rehabilitiert betrachtet werden. Kultbands wie die Berliner
17 Hippies oder Norwegens Superstars Kaizers Orkestra wären ohne
das Instrument nicht dieselben, denn im Akkordeon verschmelzen Pogo und
Polka zur Einheit. |
|
Die Lieder, schreibt sie, "entstanden auf Reisen mit argentinisichen Musikern um die Welt bis zur Seine ... beim Warten auf Valentin unter Heckklappen von gelben Taxis ...". Die Musik scheint die jeweilige Atmosphäre ihres Entstehungsorts in sich aufzusaugen, sie wechselt ihre Klangfarben zwischen melancholischer Sehnsucht und brasilianischem Karneval. Sowohl das Akkordeon als auch die übrigen Instrumente kommunizieren in einer sehr bildhaften Sprache, die keiner Texte bedarf, um sich verständlich zu machen. Cathrin
Pfeifer hat dennoch kurze, sympathische Beigleitsätze für das
schön gestaltete Booklet verfasst: Schmetterlinge können lila
sein, wenn man es nur möchte, ist darin zu lesen - der Phantasie
sind keine Grenzen gesetzt. So überrascht es kaum, dass sie in der
Vergangenheit gelegentlich für Theater und Filme komponierte; am
bekanntesten ist sicherlich der Titel "Nachtgestalten" zum gleichnamigen
Film von Andreas Dresen. Der Song bildet den Abschluss dieses herrlich
leichten, stimmig arrangierten und ungemein gefühlvollen Albums.
|
|
Auch Leuchter ist ein Meister des Akkordeons. Gemeinsam mit Christoph Titz (Trompete), Steffen Thormählen (Schlagzeug), Antoine Pütz (Gitarre/Bass) und Heribert Leuchter (Klarinette) erreicht sein Sound manchmal Bigband-Ausmaße, und Jazz in all seinen verschiedenen Spielarten scheint wenigstens schemenhaft, meistens jedoch recht deutlich, aus seinen Kompositionen heraus. Das besondere an seiner Musik ist das Akkordeon selbst, das in diesem ungewohnten Umfeld einen ganz anderen Charakter bekommt und von der schwerfälligen Quetschkommode zum wandlungsfähigen Improvisationsinstrument mutiert. Dass
Leuchter darüber hinaus arabische, afrikanische und lateinamerikanische
Rhythmen in seinen Sound mit einbaut, lässt den Facettenreichtum
seiner Ideen erkennen, und natürlich hat der Künstler es verdient,
dass man seine detailverliebten Kompositionen im Sinne des Petrarca-Ausspruchs
würdigt - aber ebenso gut darf man sich den ausgefeilten Arrangements
hingeben, in ihnen versinken und sich einfach treiben lassen. |
|
Geschichten aus der Natur, von der Begegnung mit anderen Menschen, von leiser Trauer und lauter Fröhlichkeit. Wer mag, kann seiner Fantasie durch einen Blick auf die Namen der einzelnen Titel einen Schubs geben und wird dann erfahren, wie ein vertontes "Gänseblümchen" klingt, oder - schon einfacher - die "Ungeduld". Aber auch, wer noch nie den Markt von Recanati besuchte, wird am Ende dieses Stücks ein Bild vor dem inneren Auge haben. Ulrike Dangendorf zeichnet darin das überraschend vielschichtige Bild einer italienischen Szenerie abseits des Postkartenklischees und touristischer Romantik: auch das mediterrane Lebensgefühl hat seine Widersprüche und Dissonanzen, und in Ulrike Dangendorfs Akkordeonspiel werden diese empathischen Beobachtungen hörbar. Das
Festhalten eines bestimmten Eindrucks, Moments oder Ereignisses ist für
Ulrike Dangendorf ein wiederkehrendes Thema: "Es sind die akustischen
Spuren, die diese Orte, Begegnungen und Stimmungen bei mir hinterlassen,
und die dann irgendwann zum Kristallisationskern eines musikalischen Themas
werden." Manchmal, ergänzt sie, sei eine solche "Spur aus
der Umwelt eigentlich schon Musik". So wie in dem Stück "Tanz
der Winde". In Wahrheit sind es ihre Finger, die über die Knöpfe
und Tasten tanzen, und so gewinnt auch hier das Akkordeon eine nie geahnte
Leichtigkeit und Virtuosität - ein Eigenleben. |
|
Auf diese Weise ist jedes Konzert ein Unikat, wie auch die vorliegende CD "Uumen", die das Duo jüngst veröffentlichte. Das Geheimnis ihrer symbiotischen Beziehung gibt das Album freilich nicht preis, und auf Gegenständlichkeit legt das Duo sowieso keinen Wert. Ihre spontanen Kompositionen aus Akkordeon, Schlagwerk und der mysteriösen Kehlkopfstimme Pohjonens verweigern sich jeder Bildhaftigkeit und sind dennoch von außerordentlicher atmosphärischen Intensität. Der Zuhörer bleibt mit den Klängen allein. Kryptische Titel wie "Dada", "Fil fragile" oder "Utopia" erleichtern das Verständnis nicht, sondern scheinen gezielt in die Irre zu führen. Diese Musik wäre eine ideale Begleiterin für Ausstellungen bildender Künste oder Multimedia-Projeke, die die fehlenden Bilder zu diesen eigentümlichen Klanginstallationen gleichsam "nachliefern" könnten. Ohne diese optische Verstärkung dringt das sperrige Akkordeon in Bereiche vor, in denen man es nicht vermutet hätte. Dabei ist die Anziehungskraft, die sein Klang erreicht, durchaus ambivalent, da Pohjonen und Echampard ständig zwischen vertrauten Strukturen und Elementen der Verfremdung wechseln. So bleibt ihr Sound unberechenbar und unergründlich - wie das Akkordeon selbst. © Michael Frost, April/Mai 2005 |
[Up]