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Sechs Hände ersetzen
ein ganzes Orchester


"Den Traditionalisten sind die Ideen ausgegangen." So postulieren es drei junge Polen aus Krakow. Marcin Galazyn, Janusz Wojtarowicz und Pawel Baranek, die mit dem radikalen Ausspruch ihre eigene Revolution legitimieren.

Es ist die Revolution des Akkordeons, die von den drei jungen Männern, alle sind unter dreißig, ausgerufen wird. "Andere Instrumente wie Geige, Gitarre und Klavier wurden auf ihre Art bereits ausgereizt, da kann nicht mehr wirklich viel Neues entstehen." Aber das Akkordeon friste noch immer ein Schattendasein.

In der Tat: Die einen waren cool, die anderen spielten Akkordeon - wer erinnerte sich nicht mit Schaudern an den Auftritt des schuleigenen Akkordeonorchesters bei Festen und Abschlussfeiern. Dort war das Akkordeon zu Hause, und - noch unerträglicher - im Musikantenstadl. Nur langsam ändert sich dieses Image, unter anderum dank des Bandoneons und der Renaissance des Tango (vom französischen Gotan Project mit elektronischen Klängen gemixt). In Deutschland bildet vor allem die gebürtige Bretonin Lydie Auvray mit ihren verspielten Musette-Walzern einen Gegenpol zum Volksmusik-Overkill.

Die drei jungen Polen, die sich einfach "Motion Trio" nennen, gehen einen völlig anderen Weg. Sie holen ihre Inspirationen nach eigenem Bekunden aus zeitgenössischer, klassischer und Barockmusik ebenso wie aus Jazz, Rock, Metal, Techno, House und polnischer Disco. Aus diesen Sounds erwächst dann ihr pulsierender, mitreißender und tranceartiger Sound.

"Motion" ist die Bewegung, wir kennen auch "Motion Pictures", die bewegten Bilder, und ebensolche lässt das Trio in den Köpfen der Zuhörer wachsen. Manchmal bleiben die Bilder abstrakt, und es tanzen grelle Farben vor unseren Augen. Dann wiederum erreichen die Klänge fotorealistische Züge, denn plötzlich mutiert das Akkordeon zum Dudelsack und man fühlt sich in die schottischen Highlands versetzt. Schon kurz darauf fühlt man sich als Teil einer rasanten Verfolgungsjagd in einem Actionstreifen, mitgerissen durch den antreibenden Klang der drei Instrumente und ihrer furiosen Spieler, deren Finger über Taste und Knöpfe fliegen, als hätten sie zeitlebens nichts anderes getan.

Haben sie natürlich auch nicht. Galazyn, Wojtarowicz und Baranek erlernten das Akkordeon-Spiel bereits zu Kinderzeiten und genossen eine fundierte musikalische Ausbildung an verschiedenen Musikakademien in Polen. Alle drei sind mittlerweile anerkannte und mit nationalen wie internationalen Preisen prämierte Solo-Instrumentalisten. Als Trio gewannen sie u.a. den Großen Preis des Internationalen Krzysztof Penderecki Wettbewerbs für zeitgenössische Kammermusik.

Dennoch wird sich dieses "Trio Infernale" wohl kaum noch auf den traditionellen Weg festlegen lassen. Dazu sind ihren Erfahrungen abseits der Konservatorien zu prägend, und es macht den Eindruck, als würden ihre Professoren den unkonventionellen Weg ihrer Meisterschüler durchaus unterstützen.

"Wir spielten viele Jahre an der Ecke der Florianskastraße und auf dem Markt in Krakau", erzählt das Trio. "Die Lehrer von der Musikakademien warfen im Vorübergehen Geld in unsere Hüte. Viele uns bekannte Gesichter beobachteten uns, wie wie dort auf dem Boden saßen, das Akkordeon auf den Knien - embarrassing."

Auch für ihre CD-Einspielung "Pictures from the street" haben sich Galazyn, Wojtarowicz und Baranek nicht von ihren Prinzipien abbringen lassen. "Wir benutzen keine Samples und keine Elektronik. Wozu bräuchten wir Samples, wo wir doch diese wundervollen Instrumente haben? Das Akkordeon bietet die die Bandbreite eines Kammerorchesters!"

 

© Michael Frost, 01. November 2004

 

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