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Die
Renaissance der Quetschkommode Als wir 2005 erstmals eine CD-KRITIK.DE "Thema"-Seite zu neuer Akkordeonmusik veröffentlichten, erreichten uns überraschend viele positive Reaktionen. Kein Zweifel: die "Quetschkommode" ist in. Dafür sprechen auch weitere Veröfentlichungen, die uns in der Folge zu unserem Special erreichten. Und obwohl wir weit davon entfernt sind, uns als Fachmagazin für Akkordeonmusik profilieren zu wollen, nehmen wir die Gelegenheit wahr und setzen unsere lose Reihe fort.
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Mit ihren Soundkollagen gehen Pohjonen und seine Begleiter gezielt an die Grenzen dessen, was mit dem Akkordeon möglich erscheint. Provokant und disharmonisch ist ihr Sound, der eher Klanginstallationen gleich als herkömmlicher Musik. Traditionelle Gesetze der Instrumenalmusik werden von ihnen bewusst dekonstruiert, verfremdet und verzerrt. Das Ergebnis ist tranceartig, ekstatisch und eruptiv, als würden ungeahnte Kräfte frei gesetzt, die aus der Reibung von Akkordeon, digitaler Technologie, donnerndem Schlagzeug und nordischer Mystik zu entspringen scheinen. Traditionalisten würden Pohjonen sicherlich gern wegen Missbrauchs seines Instruments anzeigen. Was er und seine Begleiter unter dem Decknamen "KTU" entwickeln, wird zwischen "Trance, Ambient und Heavy Metal" (Pressetext) angesiedelt und gehört sicher zu dem Ungewöhnlichsten, was jemals mit einem Akkordeon veranstaltet wurde.
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Während ihrer Ausbildung (sie studierte an der Sibelius-Akademie) wurde Maria Kalaniemi mehrfach angehalten, sich auf die klassische Musik zu konzentrieren, doch ihre große Liebe gilt der Volksmusik. Ganz
im Sinne ihrer Vorbilder ist ihre Musik sehr bildhaft. Es ist, als beschriebe
das Akkordeon eine Reise durch die Landschaften Finnlands. Wie im preisgekrönten
Glasdesign des Architekten Alvar Aalto finden sich in ihrem Spiel die
weichen Formen einer Seenlandschaft wieder, scheinen milde Sonnenstrahlen
auf die zarten Blüten eines kurzen Sommers. Gelegentlich schimmert
die Leidenschaft der Finnen für den Tango durch, doch nach diesen
kurzen Exkursen wird die Reise unvermittelt fortgesetzt: Sie führt
bis nach Karelien, den an Finnland grenzenden Teil Russlands und wieder
zurück Richtung Westen, wo sie die Nähe zu den musikalischen
Traditionen der Schweden und der Sami hör- und spürbar werden
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So schwingt auch ein Stück osteuropäischer Kultur in seinem Akkordeonspiel mit, doch überwiegend ist es, begleitet durch die charakteristische spanische Gitarre, eindeutig lateinamerikanisch. Die Musik ist rhythmisch, leidenschaftlich. Entsprechend menschlicher Stimmungen ist sie ungemein gefühlvoll und kann übergangslos zwischen Melancholie und Lebensfreude wechseln, sie lädt ein zum Tanzen oder zum Träumen, und in der Verschiedenartigkeit ihrer Herkunft ist sie ein Spiegel der multikulturellen Zusammensetzung der Bevölkerung Argentiniens und Südamerikas: Spanische Kolonialherren, europäische Eiwanderer, indianische Ureinwohner, die Nachfahren afrikanischer Sklaven - sie alle hinterließen ihre Spuren in der Gegenwart der lateinamerikanischen Kultur. Die "Sounds from the red land", dem Grenzland zwischen Argentinien, Paraguay und Brasilien, spüren diesen historischen Wurzeln nach. ©
Michael Frost, Februar 2006 |
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