Gäbe
es den Begriff des "Ethno-Pop" nicht bereits, für "I
Muvrini" müsste man ihn erfinden. Denn zweifellos sind I Muvrini
zu allererst eine Popband. Ihr Sound ist harmonisch, eingängig,
manchmal hart an der Grenze zum Banalen, gelegentlich auch darüber
hinaus. Fast jeder ihrer Songs hat das Zeug zum Ohrwurm, man kann dazu
mitschunkeln, Feuerzeuge in die Höhe recken - nur eben nicht mitsingen.
Denn
auch "Alma", das neue Album der Muvrini, hinter denen sich
übrigens in der Hauptsache die Brüder Jean-Francois und
Alain Bernardini verbergen, wird wiederum in Korsisch gesungen, einer
Sprache also, die weltweit von nicht einmal 50.000 Menschen gesprochen
wird. Am ehesten ist Korsisch wohl mit dem Italienischen verwandt,
doch auch französische und katalanische Einflüsse lassen
sich erkennen. Wie im übrigen auch in der Musik der Muvrini,
denn neben dem Pop gibt es einen zweiten, gleich bedeutenden Strang
in ihren Rhythmen, in dem sie traditionelle Musik sowohl aus Korsika
als auch aus Frankreich und dem gesamten Mittelmeerraum bündeln.
Diesmal
gehen I Muvrini noch einen Schritt weiter. "Alma" entstand
unter Mitwirkung von César Anot, einem Bassisten von der Elfenbeinküste,
der bereits mit Damon Albarn (Blur) zusammengearbeitet hat. Anot zeichnet
für die Arrangements der Stücke verantwortlich, und so erhielt
"Alma" einen neuen Sound, mit aller Behutsamkeit inszeniert
und durchaus nicht immer erkennbar, denn etwa der Titelsong blieb
ein Stück in der Tradition der Männerchöre, wie sie
auf Korsika und dem benachbarten Sardinien zu Hause sind. Durch einen
weichen und spielerischen Klanghintergrund nimmt Anot dem Stück
jedoch das Pathos, das die kräftigen Tenorstimmen sonst umgibt.
In
ähnlicher Weise zeichnet er auch in den übrigen Titeln vor
allem die weichen, harmonischen Linien. "Quando senterà"
etwa scheint von den fröhlichen Coladeiras einer Cesaria Evora
inspiriert zu sein, daneben verbreitet ein Zulu-Chor aus Südafrika
in verschiedenen Titeln Lebensfreude. Ein Moment besonderer Magie
ist sicherlich der Moment in "Vai", in dem beide Chöre
aufeinander treffen und einen hochspannenden, rhythmischen Wechselgesang
anstimmen.
Den
Publikumsgeschmack lassen I Muvrini jedoch in keinem Moment aus den
Augen. So kommt auch "Alma", wie so viele französische
Alben dieser Tage, nicht ganz ohne Knabenchor aus. I Muvrini greifen
damit den sensationellen Erfolg des Filmchors "Les Choristes"
(Die Kinder des Monsieur Mathieu) auf, der in Frankreich zu einer
unglaublichen Renaissance von Kinderchören führte.
Dem
Weltmusik-Puristen mag die Musik von I Muvrini zu seicht, zu weichgespült
und zu gefällig erscheinen. Allein, der Erfolg gibt der Band
recht. In Frankreich gehören die Korsen zu den erfolgreichsten
Bands überhaupt. Ihr voriges Album "Umani" ging 200.000
Mal über die Ladentische, und bei Konzerten auf Korsika findet
sich ein Drittel der gesamten Bevölkerung der Insel ein.
Dieses
Phänomen vermag zu überzeugen: I Muvrini bieten keinen Folklore-Pop
für Korsika-Touristen, sondern sie verstehen sich vor allem als
Sprachrohr ihrer Heimat und stellen seit jeher stellen sie ihre Musik
sogar in den politischen Kampf der Insulaner um mehr Unabhängigkeit
von der Pariser Zentralregierung. Dadurch wurden I Muvrini in den
vergangenen Jahren zur Stimme der Korsen, aber auch zu ihrer Seele
- "alma" auf Korsisch.
©
Michael Frost, 22.09.2005