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Poet in Wort und Ton


Die meisten Leute, die sich einmal bewusst ein Album von Stephan Eicher angehört haben, sind von ihm restlos begeistert. Sie geben den Tipp weiter ("Unbedingt anhören ..."), beweisen ihren guten Geschmack, indem sie seine CDs verschenken, manche werden zu treuen Fans und warten sehnsüchtig auf weitere Lebenszeichen des aus der Umgebung von Bern stammenden Musikers, auf Platte, vielleicht mal ein Konzert, so wie im vergangenen Jahr, als er das Vorprogramm einiger Konzerte der Stadtiontour von Herbert Grönemeyer bestritt. Doch durch nicht erklärbare Umstände muss Eicher sich offenbar - jedenfalls in Deutschland - mit dem Status des Geheimtipps zufrieden geben. Vielleicht ist die Zeit noch immer nicht reif für Stephan Eicher?

Dabei sind seine Qualitäten ziemlich einzigartig. Da ist zunächst sein Einfühlungsvermögen bezogen auf Stimmungen, Klang und Atmosphäre. Die sanft-raue, immer ein bisschen wehmütige und in die Ferne singende Stimme, die Distanz zu allem - Eicher ist vielleicht ein Einzelgänger, der am liebsten abgeschlossen von der Welt im hohen Gebirge im engsten Kreis die Akustik seiner Lieder testet, deren hingebungsvolle Arrangements immer wieder aufs Neue begeistern und zu fesseln vermögen.

Stephan Eicher beschäftigte sich früh mit Literatur und Sprachen; auf seinen Alben singt der Deutsch-Schweizer hauptsächlich Französisch und Englisch, manchmal aber auch Schwyzerisch und Hochdeutsch. Seine musikalische Ausbildung erhielt er an einer Kunstschule in Zürich, wo er u.a. auch lernte, den Computer für Kompositionen zu benutzen.

Seine erste Band, die er gründete, als er 17 war, nannte sich "Noise Boys", doch bekannt wurde er zwei Jahre gemeinsam mit seinem Bruder als "Grauzone", einer Band in der Tradition des Post-Punk, die zu den Pionieren der "Neue Deutsche Welle" wurde. "Eisbär", so der Titel der erfolgreichsten Single von Grauzone, wurde in Deutschland und der Schweiz ein Riesenhit.
Damit war der Grundstock der Karriere gelegt. Auch wenn Eicher Grauzone 1981 den Rücken kehrte, um für ein Jahr nach Italien zu gehen, wird ihm die Arbeit mit Grauzone die nötige Selbstsicherheit für seine weitere künstlerische Entwicklung gegeben haben.

Nach einer weiteren Bandgründung ("Lilliput", 1982) und einem Solo-Mini-Album "Les filles du Limmatquai" veröffentlichte er mit "Les chansons bleues" Ende 1983 sein eigentliches Solo-Debüt. Zugleich hatte er, bewusst oder unbewusst, eine Entscheidung getroffen. Hatte er sich mit Grauzone noch auf den deutschsprachigen Raum konzentriert, so waren die französischen Titel seines Soloprojektes für ein neues Publikum in der französischen Schweiz und in Frankreich von Interesse - und wurden dort auch sofort begeistert aufgenommen.

Eicher wurde nach Frankreich eingeladen, trat u.a. beim "Printemps de Bourges" auf, einem der wichtigsten Festivals des Landes. In dieser Zeit lernte er auch Philippe Constantin kennen, der sich als Entdecker von Talenten wie Etienne Daho einen Namen gemacht hatte. In Zusammenarbeit mit Constantin entstand Eichers zweites Album "I tell this night", 1987 erschien "Silence", Album Nummer 3.

Spätestens mit "Silence" stand der "Eicher-Sound" als unverwechselbares Markenzeichen fest. Von der elektronischen Musik, die seine ersten Produktionen noch dominierten, entfernte er sich Stück um Stück. Statt dessen widmete er sich vermehrt der rein akustischen Klangkunst.

Auch die für eine Albumproduktion ungewöhnliche Mehrsprachigkeit ist charakteristisch für seine Musik und erweitert jeweils die Möglichkeiten der Sound-Qualitäten. Eicher hat die Wahl, seine irgendwo zwischen Rock, Folk, Blues, Chanson angesiedelten Kompositionen in der jeweils dazu passenden Sprache zu interpretieren und schafft damit ein zusätzliches Spannungsmoment.

Die "Einsamkeit" als Begriff, der sich durch die Musik Eichers zu ziehen scheint wie ein roter Faden, drückt sich aus in verträumt-melancholischen Balladen, selbst bei seinen lauteren Rock-Titeln bleibt Eicher ein Songpooet und als solcher Meister der leisen Töne.

Die Abkehr von der elektronischen Studiomusik fand 1991 ihren vorläufigen Höhepunkt, als Stephan Eicher sein Album "Engelberg" komplett im Kursaal des gleichnamigen Ortes mitten in den Schweizer Alpen einspielte. Die Akustik des Albums (ebenso aller weiteren) ist in jeder Hinsicht überwältigend, die Qualität der Lieder sowieso. Zum zweiten Mal nach seinem 1989er Album "My place" verwendet Eicher für "Engelberg" Texte des französischen Dichters Philippe Djian, der seither für die meisten der französischsprachigen Lieder Eichers verantwortlich zeichnet. Auf "Engelberg" erscheint auch "Hemmige", ein Stück im Berner Dialekt, doch zum größten Hit des Albums wird "Dejeuner en paix", ein Nummer 1-Hit in Frankreich, und nun wird auch der Rest Europas aufmerksam.

Die Qualität seiner Lieder ist seitdem stets auf gleichbleibend hohem Niveau geblieben. "Carcassonne" (1993), aufgenommen in einem Hotel des gleichnamigen französischen Ortes, knüpfte ebenso nahtlos an den Erfolg von "Engelberg" an und macht Eicher in Frankreich zum gefeierten Superstar. Der Angst, vom Erfolg überrannt zu werden, kontert er mit einem Richtungswechsel: Auf "1000 vies", das Album, für das er sich Unterstützung des senegalesischen Sängers Ismaël Lô und des Percussionisten Dudu N'diaye Rose holte, präsentierte er sich nach langen Auslandsaufenthalten experimenteller, weniger chanson-"lastig", auch wieder elektronischer.

Nach einem weiteren hervorragenden Album ("Louanges", 1999) folgte dann zunächst eine kreative Pause, in der eine umfassende Werkschau veröffentlichte ("Hotel S") - und schließlich erstmals eine Filmmusik.

Im vergangenen Jahr kehrte Eicher dann doch nach Deutschland zurück. Sein Album "Taxi Europa" ist ein den Kontinent umspannendes Album, die dazu veröffentlichte DVD begleitet ihn auf einer Reise von Hamburg nach Palermo. Mit Max Gazzè und Herbert Grönemeyer nahm er den Titelsong auf, tourte dies- und jenseits der Grenzen, und auch auf Hochdeutsch hört man ihn wieder singen - inzwischen auch auf einem Konzertmitschnitt, der unter dem Titel "Tour Taxi Europa" als CD und auch als DVD zu haben ist.

Die zuverlässig hohe Qualität dieser und seiner früheren Aufnahmen machen Eicher zu einer Ausnahmeerscheinung im internationalen Musikgeschäft. Stets wirken seine Platten persönlich, direkt, authentisch, seiner Stimmung entsprechend und nicht marktgängigem Kalkül verpflichtet.

Also: Machen Sie es wie wir und empfehlen den Geheimtipp Eicher weiter !

© Michael Frost / 01. September 2001
Update: 22. September 2004


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