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Krieg und Liebe


Jovanotti geht in die Vollen. Stück für Stück hat er sich in den vergangenen Jahren an das Weltgeschehen herangearbeitet, die Zusammenhänge zwischen Armut, Globalisierung und der Verschuldung der Entwicklungsländer beobachtet und immer weiter ins Zentrum auch seiner künstlerischen Arbeit gerückt.

Keines seiner bisherigen Album war jedoch zu so großen Teilen von politischen Botschaften geprägt wie "Il quinto mondo", sein neuestes Werk. In fast allen der insgesamt vierzehn Titel geht es um die Folgen von politischer, militärischer und ökonomischer Gewalt, um Menschenrechte und und Rettung der Natur - manchmal klingt Jovanotti, also hätte er das Grundsatzprogramm der Grünen von 1980 vertont, das gerade, unter dem Eindruck der Regierungsbeteiligung der ehemaligen Protest-Partei durch eine deutlich unkritischere, manche sagen "zeitgemäße" Fassung ersetzt wurde.

Mit dieser Form der Anpassung hat Jovanotti offenbar nichts am Hut. Der Eklat folgte stehendes Fußes: "Salvami" (Rette mich), die erste Single-Auskopplung, ist auch ein Manifest gegen den Afghanistan-Krieg der "zivilisierten" Welt, die Macht von Banken und Börsen, Nato und FAO (Welternährungsorganisation), Schließlich nennt er New York, Peshawar und Sierra Leone in einem Atemzug, was im Italien des Silvio Berlusconi wohl auch nicht viel anders beurteilt wurde als es hierzulande kommentiert worden wäre: als unzulässige Abkehr von der staatlich verordneten und völlig unkritischen "bedingungslosen Solidarität". In Italien immerhin führte der "Skandal" sogar dazu, dass verschiedentlich Fernsehauftritte zur Promotion der Single von den Sendern abgesagt wurden. (Wessen Sender eigentlich ?)

Dennoch: Bei aller Ernsthaftigkeit der Texte tritt die Musik auf "Il quinto mondo" keineswegs in den Hintergrund. Im Gegenteil: Jovanotti steht auf dem Standpunkt, dass laute, schnelle rhythmische und tanzbare Musik durchaus geeignet sei, auch Botschaften mit Tiefgang zu transportieren - und er tritt auch gleich den Beweis an. Damit läutet "Il quinto mondo" eine Abkehr vom ruhigen, manchmal fast meditativen Stil der beiden vorherigen Studioalben "L'Albero" (1997) und "Capo Horn (1999) ein, in denen er seine langen Reisen, u.a. nach Tibet und Patagonien verarbeitet hatte.

"Il quinto mondo" knüpft musikalisch wieder verstärkt an den "alten" Jovanotti an, dessen Songs auf einer schillernd-bunte Palette aus Hiphop, Rap und Funk komponiert sind. Energische Beats, raffinierte Harmonien und groovender Funk geben den Ton an und werden durch temporeiche Rock-, Latin- und afrikanische Elemente verstärkt.

Das reichhaltige Angebot der Stile und Rhythmen macht "Il quinto mondo" auch für alle zum Erlebnis, die der italienischen Sprache nicht mächtig sind. Der fast 12 Minuten lange hypnotische Rap "Date al diavolo un bimbo per cena" ("Gebt dem Teufel ein Baby zum Abendessen") ist ein sprachgewaltiges Meisterwerk, während "L'albero di mele" (Der Apfelbaum) durch die Kombination von Stimme, klassischem Orchester und dem furiosen Klavierspiel von Giovanni Allevi fasziniert. Und schließlich wäre Jovanotti nicht der, der er ist, wenn "Il quinto mondo" nicht wenigstens eine herrlich romantische Ballade auf Lager hätte - wie sie überhaupt nur von einem Italiener stammen kann: "Ti sposerò" ("Ich werde dich heiraten").

Das Lied mündet allerdings in einen Chorgesang, der offenbar die kitschige Italien-Romantik alter Hollywood-Filme ironisieren soll:
"che ogni giorno sia un giorno d'amore
e ogni luna una luna di miele"

("... dass jeder Tag ein Tag der Liebe sei,
und jeder Mond ein Honigmond.")

Aber der Honigmond, das weiß auch Jovanotti, ist eine Erfindung Hollywoods. Die Realität heißt eben doch: New York, Peshawar, Sierra Leone.

 

Michael Frost / 13. April 2002

 

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