Für
Sänger und Schauspieler ist dies wohl der größte
Moment: Wenn sich das Publikum am Ende zu stehenden Ovationen
aus den Sitzen erhebt und die Stars der Aufführung begeistert
feiert. Standing ovations sind das Zeichen besonderer Anerkennung.
Wie groß aber muss erst die Bewunderung für eine
Künstlerin sein, wenn sich die Zuschauer bereits zu Beginn
des Konzerts erheben?
Es
ist, als habe eine Monarchin den Saal betreten, und dabei
hat Marianne Faithfull eigentlich so gar nichts Adliges an
sich. Ihr Outfit ist schlicht und einfach, ihre Begrüßung
"Good evening, my friends" fast ein wenig jovial,
und ihre Stimme klingt nach Hafenbar: derbe, nach Whiskey,
nach Unmengen von Zigaretten und überhaupt nach einem
Leben ohne Rast und Ruhe. Es ist die Stimme einer Frau, die
sich nie schonte, der nichts geschenkt oder in die Wiege gelegt
wurde. Die Inbrunst, mit der sie John Lennons "Working
class hero" oder die "Ballad of Lucy Jordan"
(beide von ihrem legendären Album "Broken English"
1979) intoniert, kommt sicher nicht von ungefähr: die
Freiheit ist erkämpft.
Und
eben diese Glaubwürdigkeit ist es, die das Publikum an
diesem Abend, an dem Marianne Faithfull in Hollywood gastierte,
goutiert. Egal, was sie singt: Alles erscheint autobiografisch.
Sie trägt den Blues in sich, und wie großartig
sie dieses Grundgefühl in Musik umsetzt, beweist gleich
der Eröffnungssong dieses Abends: "Trouble in mind",
eingeleitet von Trompeter Lew Soloff. Die Musiker, jeder für
sich brilliant: Barry Reynolds (Gitarre), Fernando Saunders
(Bass, Cello), Courtney Williams (Drums) und Daniel Mintseris
(Keyboards) - dass sie es überhaupt schaffen, neben dieser
Stimme wahrgenommen zu werden, spricht schon für die
herausragende Qualität. Das Publikum feiert an diesem
Abend besonders Soloffs Trompete, denn er hat das Instrument
ihrer Stimme nachempfunden, und die ist schroff, brüchig,
melancholisch, manchmal fast krächzend, aber auch weise,
sich und anderen nichts vormachend: ein offenes Buch.
Marianne
Faithfull suchte auf ihren beiden jüngsten Platten ("Kissin'
time" 2002 und "Before the poison" 2004) die
Zusammenarbeit mit anderen Musikern, die sich die Chance,
für diese einzigartige Stimme den einen oder anderen
Song zu schreiben, nicht entgehen lassen wollten, darunter
Damon Albarn (Blur), Jarvis Cocker (Pulp), Beck, Billy Corgan,
Nick Cave, P.J. Harvey.
"Live
in Hollywood" ist vielleicht der Höhepunkt dieser
neuen Phase der nun fast vierzigjährigen Karriere von
Marianne Faithfull, die einst an der Seite von Mick Jagger
begann. Ihre beiden letzten Alben gehören zu ihren besten
Produktionen überhaupt, und entsprechend groß ist
ihr Anteil auf der Setlist ihrer Konzerte.
Immer
wieder, auch während und zwischen den einzelnen Liedern,
erheben sich die Zuschauer von den Plätzen, um Marianne
Faithfull und ihren Musikern zu applaudieren. Dabei funktioniert
dieses Konzert ohne jeden Showeffekt. Nichts und niemand lenkt
von den exquisiten Musikern ab und von ihr, the voice,
die über diesen Abend herrscht, über ihre Anhänger
und Musiker, und man versteht: Marianne Faithfull ist sehr
wohl eine Monarchin, und zwar überall dort, wo sie die
Bühne betritt. Wie der hingerissene Kritiker der New
York Times schrieb: "Marianne Faithfull, the Queen of
the Night".