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Von epischen Ausmaßen


Die Violine, normalerweise eher der Klassik zugeordnet, hat auch in der aktuellen Musikszene ihren Platz. Diese Erkenntnis ist nicht neu, wurde aber selten so eindrucksvoll unterstrichen wie auf "No more shall we part", dem neuen Album von Nick Cave und seiner Band, den "Bad Seeds".

Dabei sind es noch nicht einmal allein die Geigen, die überwältigen. "No more shall we part" ist voller beeindruckender Geschichten und Bilder. In fast siebzig Minuten Spielzeit entfaltet Nick Cave einen musikalischen und textlichen Spannungbogen von epischen Ausmaßen.

Das musikalische Konzept wird bereits mit dem ersten Lied "As I sat sadly by her side" deutlich. Die tragende Melodie wird langsam entwickelt, erfährt eine dramatische Wendung nach der Hälfte, wenn Streicher einen hypnotisierenden Rhythmus vorgeben, den man in ähnlicher Form zuletzt in Björks "Hunter" hören konnte. So steigert sich die Spannung immer weiter, je länger das Lied andauert. Nach dieser Art sind die meisten Titel gestrickt, jeweils variierend, aber immer schwelgend und ausladend, melancholisch, versunken und - sagen wir es ruhig: romantisch, mit dem Sinn für großes Gefühl.

Nick Cave ist ein Meister der Verwandlung. Ausgerechnet ein Lied mit dem Titel "Hallelujah" wird - wiederum - von einer Geige kontrastiert, die anfangs wie eine Sirene bei Fliegeralarm klingt. Und in "God is in the house" ist es die detaillierte, sarkastisch-ironische Beschreibung des Kleinstadtlebens, die den Gegensatz zur harmlos-harmonischen Ballade bildet.

"Homos roaming the streets in packs, queer bashers with tyre-jacks, lesbian counter-attacks - that stuff is for the big cities; our town is very pretty ..." witzelt Cave über das bigotte Spießertum in Klein- und Vorstädten mit netten Vorgärten und weiß gestrichenen Kirchen, und jeder kennt wenigstens ein Kaff, das genauso ist, und dann heißt es wieder "If we all hold hands and very quietly shout Hallelujah God is in the house ..." - Gott bewahre uns vor dieser "Idylle".

Nicht nur in diesen Liedern spielt Gott eine Rolle. Um Sinn und Unsinn bzw. die Absurdität menschlichen Handelns in all seinen Facetten geht es immer wieder, und die Religion bildet den Ausgangspunkt für Caves Beobachtungen individueller und letztlich gesellschaftlicher Leere, Verlogenheit, Oberflächlichkeit und Einsamkeit. Von der Cave oft unterstellten "Morbidität" allerdings kann hier nicht gesprochen werden.

Denn auch wenn es auf "No more shall we part" nur selten richtig krachend laut wird, so ist es doch ein energisches und machtvolles Album, dessen Kraft in der Ruhe liegt.

Man kann "No more shall we part" auch als halbleise Hintergrundmusik hören. Dann wird man vielleicht noch die schönen Klaviersätze und die Gesangspassagen von Kate und Anna McGarrigle wahrnehmen. Die andere Hälfte aber würde man wahrscheinlich verpassen, darunter die Geigen, Caves ruhigen Gesang, von den Texten ganz zu schweigen. Nein: Diese Platte will in all ihren tiefgründigen Schichten erhört werden. Hallelujah !

 

MF / 21.04.01
Cover-Abbildung: www.nickcave.net

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