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Sisters in arms


Wohl jeder Musikfan hat seine persönliche Wunschliste für denkbare Kooperationen seiner Lieblingskünstler. Wo zwei Legenden zueinander finden, so der Gedanke, da brennt die Luft. Bedenkt man es recht, so ergibt sich die Zusammenarbeit dieser zwei Frauen fast zwangsläufig: Hier das unverwüstliche, zur Rock-Diva geläuterte Skandal-Groupie der 60er Jahre, dort die Rockröhre von heute, die übrigens die Tochter der ersten sein könnte, nicht nur dem Altersunterschied nach, sondern, weil beide erkennbar aus dem gleichen Holz geschnitzt sind: Sisters in arms.

Hier, das ist Marianne Faithfull, die Großartige, vermutlich die einzige Frau auf der Welt, die auch ohne Stimme singen kann, dort, das ist Polly Jean - kurz P.J. - Harvey, die Sirene des Postrock, die schon mit Björk respektlos Jaggers "Satisfaction" zerlegte, mit Thom Yorke duettierte und von Kritikern seit Jahren mit nicht abreißenden Lobeshymnen bedacht wird.

Diese beiden haben jetzt zueinander gefunden, und zwar für Marianne Faithfulls neues Album "Before the poison". Und auch, wenn man ein richtiges Duett der beiden "Schwestern im Geiste" vermisst - P.J. Harvey versteckt sich im Background-Chor -, so ist ihre Handschrift doch deutlich erkennbar: "Before the poison" ist ein Rock-Album in typischer Harvey-Manier; elegisch, drängend, schräg, charismatisch.

Gemeinsam mit der weiterhin einzigartigen Stimme der Faithfull, die von einer geheimnisvollen Rezeptur zusammen gehalten wird, deren wichtigste Zutaten wahrscheinlich Erfahrung, Verzweiflung, Reife, Leidenschaft, Whiskey und Zigaretten sind, erreichen Harveys Songs eine fast beängstigende Tiefe - nichts für schwache Gemüter und schon gar nichts für solche mit Angst vor den eigenen Abgründen.

Allein schon die fünf Songs, die Marianne Faithfull und P.J. Harvey zusammen produzierten, wären ausreichend, um "Before the poison" in höchsten Tönen zu loben. Doch Marianne Faithfull wollte mehr. So gibt es erneut - nach "Kissin Time" zum zweiten Mal - eine Kooperation mit Blurs Damon Albarn, und außerdem gewissermaßen ein Zusammentreffen mit ihrem männlichen Pendant: Nick Cave. Er komponierte drei Songs für die CD, auch sie mit unverkennbar melodramatischer Handschrift, die Texte schrieb Marianne Faithfull selbst.

Nicht minder exquisit sind die Musiker, darunter Portishead-Gitarrist Adrian Utley, und unter der Regie von Francois Ravard, mit dem Marianne Faithfull bereits ihr fünftes Album produzierte, wird "Before the poison" zu einem fast opulenten Werk, dem die Reife, die Professionalität, das große Können aller Beteiligten mit jeder Note anzuhören ist. Was zu beweisen war: Auf diesem Album brennt die Luft.

© Michael Frost, 20. September 2004

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