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Die Rückkehr des
"Hexendoktors"


Über die Jahre gereift, steuern Nick Cave und seine Band (die weit mehr ist als nur eine Begleitband) ihrem kreativen Höhepunkt entgegegen. Ob der Gipfel mit "Nocturama" bereits erreicht ist, wird sich zwar erst bei der Veröffentlichung des nächsten Albums feststellen lassen, aber in jedem Fall ist die aktuelle Veröffentlichung ein weiterer Schritt nach vorn.

Nick Cave, so schreibt seine Plattenfirma, sei "einer der wenigen wirklich großen, wahrhaft eigenständigen Songwriter und Performer unserer Zeit", und an dieser Stelle könnte unsere Rezension bereits zu Ende sein, denn dem ist kaum etwas hinzuzufügen. Wagen wir aber wenigstens den Versuch der Einordnung des neuen Albums.

Im Unterschied zu "No more shall we part", dem großartigen Vorgänger von 2001, zeichnet sich "Nocturama" durch zweierlei Merkmale aus: Das Album ist "einfacher" produziert, das heißt, die Arrangements sind leichter und zurückhaltender, weniger beladen und deshalb greifbarer und ursprünglicher. Vielleicht hat der Produktion ihre vergleichsweise beiläufige Entstehung gut getan. Aufgenommen wurden die Titel nämlich innerhalb nur einer Woche während einer Tour-Pause in Nick Caves australischer Heimat.

"Der Grundgedanke bestand darin, von der Planbarkeit einer Platte wegzukommen und so vorzugehen, wie man es früher tat", sagt Cave selbst. Er habe seine Ideen und die Texte aufgeschrieben und erst einmal zur Seite gelegt, anstatt die Titel wie bei "No more shall we part" bereits zu arrangieren und seinen Bandkollegen praktisch fertige Arbeitsergebnisse vorzulegen. So ist der Einfluss der "Bad Seeds"-Mitglieder bei den Arrangements für "Nocturama" wieder deutlich größer.

Mit "Wonderful life" beginnt Cave zwar, wo "No more shall we part" vor zwei Jahren aufhörte, doch die ruhige, von Blues und Balladen getragene Grundströmung, die vor allem die letzten Alben wie ein roter Faden durchzog, wird auf "Nocturama" an vielen Stellen durchbrochen.

Dazu tragen nach spontaner Jam-Session klingende Sequenzen einzelner Songs bei ("Bring it on"), aber es gibt auch ganze Titel, die sich mit druckvollem Gitarren-Rock in Tempo und Lautstärke von der melancholischen Färbung abheben ("Dead man in my bed").

Alles auf "Nocturama" scheint auf das Wesentliche reduziert worden zu sein. Arrangements und Instrumente, Sprache, Textinhalte und Gesang verschmelzen zu einem einheitlichen Ausdruck, der letztlich die Einzigartigkeit dieser Formation (Nick Cave, Mick Harvey, Blixa Bargeld, Thomas Wydler, Martyn P. Casey, Jim Sclavunos und Warren Ellis) ausmacht.

Deren unbändige Lust und vulkanartige Energie wird zum Abschluss des Albums noch einmal deutlich wie nur selten in der Vergangenheit. "Nocturama" schließt mit "Babe, I'm on fire", einer gewaltigen, auf unendliche klingende fünfzehn Minuten und gnadenlose dreiundvierzig (!) Strophen ausgedehnten psychedelischen Rock-Oper, bei der sich Cave und die Bad Seeds in absoluter Höchstform zeigen.

Cave, der sich im Laufe der Jahre "vom übergeschnappten Hexendoktor des australischen Rock zum liebeskranken Schmelzsänger" (Poplexikon) entwickelte, bekennt sich mit "Babe I'm on fire" zur Bandmagie der frühen Jahre. Das Stück wird sicherlich ein Klassiker in der Geschichte dieser Band, und wer das Feuer dieses Songs nach den ersten zwei, drei Strophen nicht mit den Musikern teilt, dem kann auch kein anderer Hexendoktor mehr helfen.

© Michael Frost, 01. Februar 2003

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