Eine
Frisur wie ein Vogelnest, wirr verschmierter Lippenstift, schwarz
umrandete Augen und ein bleich geschminktes Gesicht: Das ist Robert
Smith, genialer Chef und schillernder Verwandlungsmeister der
Wave-Rock-Dance-Pop-Gothic-Formation "The Cure", die
1976 (damals noch als "The easy cure" in ihrer Anfangsformation
mit Laurence "Lol" Tolhurst (Drums), Michael Dempsey
(Bass) und Porl Thompson (Gitarre) und eben jenem Robert Smith
loszog, die Popwelt auf den Kopf zu stellen und nebenbei den Kajal-Stift
für Männer salonfähig machte.
"The
Cure" ist tatsächlich, im Gegensatz zu den meisten anderen
Bands, eine One-Man-Show. Schnell verliert man den Überblick:
Zahllose Bandmitglieder hat man kommen und gehen (und wiederkommen)
sehen, und angesichts der Tatsache, dass abgesehen von Robert
Smith aus der Anfangsformation der Band niemand mehr dabei ist,
kann der Einfluss der jeweiligen Bandmitglieder auf den Cure-Sound
nur schwer abgeschätzt werden. Eher drängt sich die
Vorstellung von Robert Smith als dem alles allein Bestimmenden
auf, der eher eine Begleitband formiert denn als "Primus
inter pares" gelten kann, ihn aber auf die Rolle des Band-Diktators
zu reduzieren, muss eine Falscheinschätzung sein, denn Smith
hatte offenbar keine Probleme, sich selbst zurückzunehmen,
als er in den 80ern für eine nicht ganz unerhebliche Phase
den Gitarrenpart der Wave-Band Siouxsie & The Banshees übernahm.
Seit ihrer ersten Single "Killing an Arab", einer musikalischen
Umsetzung des Romans "Der Fremde" von Albert Camus,
einem Meisterwerk der absurden Literatur, kann man The Cure als
post-existenzialistische Band bezeichnen. In den Liedern der Band
geht es oft und hinergründig um den fehlenden Sinn des Lebens,
die daraus resultierende Absurdität menschlichen Daseins
und Handelns, und aus der Sinnlosigkeit erwuchs in den frühen
Jahren der Band-Karriere auch eine gefährliche Portion suizidaler
Resignation, Trauer und Verzweiflung.
Dem vom Post-Punk inspirierten sehr lebendigen Debüt "Three
imaginary boys" von 1979 (unter dem Titel "Boys don't
cry mit z.T. anderen Liedern im gleichen Jahr noch einmal veröffentlicht)
folgte eine Art "Trilogie des Grauens", eine Chronik
des angekündigten Selbstmords (zu dem es glücklicherweise
nie kam), nämlich das minimalistische "Seventeen seconds"
mit dem grandiosen "A forest", mit dem Cure bis heute
meistens ihre Konzerte beschließen, dann das bestürzend
depressive Album "Faith" und schließlich "Pornography",
ein Album voller irrer, brutaler und rauschhafter Sounds. Robert
Smith sagt heute in Interviews, die Aufnahmen zu "Pornography"
seien im Drogenrausch entstanden, er habe keinerlei Erinnerungen
mehr an die Arbeiten im Studio.
Dennoch: Trotzdem die Band die Grenzen des Unerträglichen
auslotet und von Platte zu Platte weiter verschiebt, üben
die Alben eine fast magische Anziehungskraft aus, der man sich
kaum entziehen kann. Aus allen drei Platten spricht eine Grundstimmung,
die zu dieser Zeit von vielen Jugendlichen in aller Welt wird:
Angst.
Angesichts des Wettrüstens und der Bedrohung durch ökologische
Katastrophen, denen sich die Menschen Anfang der 80er Jahre bewusst
werden, scheint die Apokalypse nah, zudem beginnt in Großbritannien
die Thatcher-Ära und mit ihr eine immer umfassendere Durchsetzung
kapitalistischer Prinzipien. Leistungsdruck, Konkurrenzkampf,
Ellenbogenmentalität und Entsolidarisierung führen gerade
bei Jugendlichen zu großen Verunsicherungen. Dem steigenden
Druck begegnen viele mit Verweigerung: Angesichts der ständigen
Bedrohungen erscheint es vielen als absurd, oberflächlich,
spießig und wirklichkeitsfremd, sich mit der eigenen Zukunft,
Karriere und Familie zu beschäftigen. Das Credo stammt aus
der Punk-Bewegung und lautet "No future !".
Robert Smith mit seinem introvertierten Sound, der ständigen
Trauer in der brüchigen Stimme, wird schnell zur Gallionsfigur
einer düsteren Subkultur, die von jungen Leuten in schwarzen
Klamotten, wild toupierten Haaren in finsteren Szenekneipen zelebriert
wird: Es ist der Beginn einer Bewegung, die sich bis heute hält,
mittlerweile "Gothic" genannt wird und, etwa in Person
von Ville Valo, Frontmann der finnischen Band "Him",
längst Eingang in den Mainstream gefunden hat.
The Cure haben sich von dieser Bewegung nie losgesagt. Und obwohl
sie gleich nach der Veröffentlichung von "Pornography"
noch rechtzeitig die Notbremse zogen und ihren Sound, wahrscheinlich
ihr ganzes Leben, radikal veränderten, sind ihnen die Anhänger
des Dark Wave bis heute treu geblieben. Die selbstzerstörerische
Magie der frühen Jahre hätte vielleicht in die Katastrophe
geführt - sowohl die Band als auch viele Fans, die um ihr
Idol oft einen Kult religiöser Verehrung betrieben.
Bis heute erscheint unglaublich, dass die Extrembeispiele für
die beiden Seiten des Cure-Sounds im selben Jahr im Abstand nur
weniger Monate als Single veröffentlicht wurden: Das dunkle,
gewaltige und aggressiv treibende "The hanging garden",
einzige Single-Auskopplung von "Pornography", und dann
"Let's go to bed", eine wilde und witzige Tanznummer,
die plötzlich so etwas wie Spaß und ausgelassene Freude
versprühte und im Jahr darauf durch den jazzig verspielten
Wavepop-Klassiker "The lovecats" noch getoppt wurde.
The Cure waren plötzlich Stars, deren Singles die Charts
enterten. Die Hits dieser Zeit dokumentiert "Japanese Whispers",
das Album, das die Singles und B-Seiten der "Nach-Pornography"-Zeit
beinhaltet.
Die einzigartige Mischung aus finsteren und melancholischen Elementen
einerseits und psychedelisch-hypnotischen Tanznummern andererseits
erwies sich als ungemein faszinierend. Selten hatte man so tiefgründige
Popmusik erleben können, selbst in den luftigsten Tanznummern
steckte noch eine wahrnehmbare, manchmal ironische Portion Trübsinn,
oder andersherum: Nie hatte man so fröhlichen Darkwave erleben
können.
Fortan gehörten beide Seiten zum festen Repertoire des Cure-Sounds.
Je nach Stimmungslage, so schien es, tobte sich Robert Smith aus.
Einen ersten Eindruck dieser gewaltigen und doch zusammengehörenden
Stimmungsschwankungen gab es 1984 mit dem opulenten und psychedelischen
Album "The top", das sowohl beherzte Pop-Nummern ("The
Caterpillar") als auch das Aggressionen abbauende "Shake
dog shake" und das mystische "Wailing wall" enthält.
Nach der "Top Tour" (ausschnittsweise festgehalten auf
dem Live-Album "Concert") kam es zum erneuten Mal zu
einem Austausch von Band-Mitgliedern. Michael Dempsey hatte The
Cure bereits 1979 verlassen, doch jetzt gingen auch Andy Anderson
und Phil Thornalley, dafür kam Simon Gallup, der 1979 eingestiegen
war, The Cure aber nach den Aufnahmen zu "Pornography"
verlassen hatte, wieder zurück und blieb der Band bis heute
erhalten. Außerdem kam Drummer Boris Williams dazu, der
vorher u.a. bei den Thompson Twins gespielt hatte.
In der Besetzung Robert Smith (Gesang, Gitarre), Laurence Tolhurst
(Keyboard), Porl Thompson (Gitarre), Simon Gallup (Bass) und Boris
Williams (Drums) machte sich die Band 1985 an die Aufnahmen von
"The head on the door", einem brillanten Pop-Album,
das die bis dahin wohl größten Cure-Hits hervorbrachte:
"In between days" und "Close to me".
Doch zum Soundtrack dieser zweiten Hälfte der 80er Jahre
wurde das nächste Album: "Standing on a beach",
Compilation mit allen bis dahin erschienen Singles wurde veröffentlicht,
in der CD-Version unter dem Titel "Staring at the sea"
mit zusätzlichen Tracks, gefolgt von einer großen Welttour,
die The Cure im Sommer 1986 auch in Amphitheater und Stierkampfarenen
Südfrankreichs führte, wo ihr erstes Live-Video aufgenommen
wurde: "The Cure in Orange".
Robert Smith hatte seinen Weg endlich gefunden: Zwischen munterem
Pop, aggressivem Rock und melancholisch-bizarren Balladen pendelte
sein Stimmungsbarometer, doch was die Kreativität und den
Ausstoß an musikalischen Ideen angeht, stand der Höhepunkt
noch bevor. "Kiss me kiss me kiss me", das 1987 erschienene
Doppelalbum, ist ein Manifest der verschiedenen Seiten der Gruppe,
es quillt förmlich über vor berauschenden und verschwenderischen
Klängen, eine mitreißende Achterbahnfahrt zwischen
"himmelhochjauchzend" und "zu Tode betrübt",
im Video zur Hit-Single "Why can't I be you ?" erlebt
man einen grotesk im Eisbärenfell Diskofox-tanzenden Robert
Smith, zu "Hot hot hot" sieht man ihn in skandalöser
Kurzhaarfrisur mit cooler Sonnenbrille. Das Band-Image als Meister
des "Düster-Pop" und der "Weltschmerz-Musik"
ist ihnen bis heute geblieben, aber falsch ist es spätestens
seit "Kiss me kiss me kiss me".
Auch "Disintegration", das nächste Album, beschwört
wiederum beide Seiten des Cure-Sounds. Die thrillerhafte Single
"Lullaby" wird einer der größten Band-Erfolge,
das dazugehörige Video mit Robert Smith im albtraumartigen
Spinnenlook ist ein preisgekrönter Videoclip-Klassiker. Die
triumphalen Auftritte in der Londoner Wembley-Arena wurden auf
dem Live-Album "Entreat" festgehalten.
Cure werden heute gern als "80er-Jahre-Band" bezeichnet.
Von ihren Anfängen und ihren ersten Erfolgen her betrachtet
ist das auch nicht ganz falsch, doch ihren größten
kommerziellen Erfolg hatte die Band in der ersten Hälfte
der 90er Jahre mit dem Album "Wish". Die beschwingt
fröhlichen Single-Auskopplungen "High" und "Friday
I'm in love" wurde große Hits. 1991 waren The Cure
bereits als "beste britische Band" bei den Britawards
ausgezeichnet worden und hatten als eine der ersten Bands ein
Konzert für die "MTV unplugged"-Reihe aufgenommen.
Man sieht die Bandmitglieder umgeben von wallenden Vorhängen
zwischen Räucherstäbchen und dicken Kissen auf dem Boden
sitzend, mit einem Spielzeugklavier und quakenden Pfeifen. Bei
"The Walk" können sie sich vor Lachen kaum halten.
Ausschnitte dieses denkwürdigen Auftritts sind auf dem Video
"Playout" zu sehen.
Bezeichnend ist jedoch auch der - für eine europäische
Band nicht selbstverständliche - Erfolg, den The Cure schon
früh auch in den USA hatten. Sie spielen bei ihren ausgedehnten
Tourneen dort nicht nur in den größten Hallen, ihre
Singles und Platten landen dort auch regelmäßig weit
vorne in den Charts. Ihr bislang letztes Studio-Album "Bloodflowers"
brachte ihnen sogar eine Grammy-Nominierung ein.
Eine ihrer treuesten Fangemeinden jedoch haben The Cure in Frankreich.
Dafür bedankten sie sich 1993 mit dem Live-Album "Paris",
das insbesondere Titel der frühen und "dunklen"
Band-Phase erhält, die bei Konzerten bis heute immer noch
den größten Teil der Setlist ausmachen. Das oft von
Abend zu Abend umgestellte Programm enthält oft gerade einmal
einen oder zwei der bekannten Single-Hits, in der Regel werden
Cure-Konzerte zu einer oft dreistündigen "Reise ins
Ich", zu der man mit gewaltigen Soundcollagen, treibenden
Rhythmen, dröhnenden Gitarren und hypnotisierendem Gesang
entführt wird.
Nach "Wish" und der darauf folgenden Tour bahnte sich
dann doch eine Zäsur in der Bandgeschichte an, ausgelöst
durch den schmerzhaften Ausstieg von Mitbegründer Laurence
Tolhurst, der nicht nur im Streit mit der übrigen Band ging,
sondern auch noch langwierige Gerichtsprozesse um die Rechte am
Band-Namen anstrengte, bei denen er aber schließlich unterlag.
Porl Thompson hatte The Cure schon 1993 verlassen, auf "Lol"
Tolhurst folgte noch der überraschende Ausstieg von Boris
Williams. Für ihn kam Jason Cooper - und Roger O'Donnell,
der der Band schon einmal angehörte, 1990 aber durch Perry
Bamonte ersetzt worden war, kehrte zurück.
Bis zum nächsten Album vergeht eine längere Pause, in
der die Band zwar bei verschiedenen Festivals auftritt, aber erst
1996 kommt "Wild mood swings", ein überraschendes
und ziemlich verrücktes Album, bei dem The Cure mit Latino-Rhythmen
und wilden Bläser-Sätzen experimentiert, so auf der
ersten Single-Auskopplung "The 13th", das zum Erstaunen
der Band in Italien ein Hit wird, während sonst überall
nur das Album selber in die Charts geht.
Über The Cure kursierende Auflösungsgerüchte sind
so alt wie die Band selbst. Sie tauchen auch nach "Wild mood
swings" auf. So wird die auf das Album folgende größte
Tour in der Geschichte der Band von vielen Kritikern voreilig
als "Abschiedstour" tituliert, und erneut spricht man
von Trennung, als The Cure 1997 mit "Galore" den zweiten
Teil ihrer Singles-Collection veröffentlichen. Doch die Band
bleibt und kehrt im Februar 2000 mit ihrem nach fast übereinstimmender
Einschätzung bislang besten Album zurück: "Bloodflowers"
enthält zwar keine Single-Hits, dafür aber eine Reihe
von ausladenden Stücken in bester Band-Tradition, perfekt
und stimmungsvoll arrangiert, konsequent durchdacht und umgesetzt,
kraftvoll und gewaltig - das Werk eines Vollblutmusikers und nicht,
wie vorher oft spöttisch behauptet, einer alternden Diva,
die den Absprung verpasst habe.
The Cure haben Musikgeschichte geschrieben, und "Bloodflowers"
hat gezeigt, dass Robert Smith, gerade einmal Anfang 40, noch
lange nicht am Ende seines Weges ist. Vollkommen zu Recht hat
die Band jetzt auch einmal eine "Greatest Hits"-Compilation
auf den Markt gebracht, die mit ihren immerhin 18 Titeln einen
zwar nicht ausreichenden, aber doch eindrucksvollen Überblick
der fast 25 Bandjahre liefert. Fans stürzten sich auf die
Bonus-CD in limitierter Auflage - sie enthält die selben
18 Titel in akustischen Versionen. Für die Aufnahmen kehrte
auch Ex-Drummer Boris Williams zur Band zurück. Es geht
ihm wahrscheinlich wie den meisten Fans: Es liegt etwas Magisches
in dem Sound der Band, und diese Magie hat sich über die
Jahre ebenso wenig verbraucht oder abgenutzt wie das Charisma
der Person Robert Smith.
Dessen
besondere Entwicklung lässt sich vielleicht an den drei
Alben seiner so genannten "Dark Trilogy" ablesen:
"Pornography", "Disintegration" und "Bloodflowers".
Die komplette Liste der Songs wurde von The Cure im Herbst 2002
an zwei Abenden im Berliner Tempodrom für eine DVD-Veröffentlichung
live gespielt.