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Mit Spiritualität
wider die Armut


Der internationale Erfolg der italienischen Musikszene ist in den letzten Jahren zu einer überschaubaren Größe geworden. Der Ruhm der "Cantautori", der großen Songschreiber von Lucio Dalla bis Fabrizio de André, aber auch der Meister des "Italopop", ist Vergangenheit, und Nachwuchs ist weithin nicht sichtbar.

Auch Enzo Avitabile, einst die größte Hoffnung des italienischen Soulpop und bejubelter Gast des renommierten Umbria Jazz-Festivals von Perugia, hat sich in den letzten Jahren zurückgezogen - um schließlich als "Weltmusiker" zurückzukehren. Er kooperierte mit Africa Bambata, Khaled und Mory Kante, zog mit einem guten Dutzend Trommlern, die, einer Tradition des 14. Jahrhunderts folgend, alte Holzwannen und Weinfässer als Schlagzeuge einsetzen, durch die Lande.

Nun hat Avitabile, der Sänger und Saxophonist, ein neues Projekt realisiert: "Sacro Sud" - im Untertitel: "Da Marianella al Golgota" - von Marianella nach Golgota.
Marianella, der im Norden Neapels liegende Ort, steht symbolisch für die Entrechtung der Armen. Dort wurde 1696 Alfonso Maria de Liguori geboren, ein Adliger, der später mit seiner Herkunft brach, Theologie studierte und als Priester einen Orden gründete, der sich der Unterstützung der Armen verschrieb. De Liguori wurde nach seinem Tode heilig gesprochen.

Die Lebensumstände des Santo Alfonso mögen das Interesse Avitabiles, der selbst aus Neapel stammt, geweckt haben. Als Musiker unterstützt und fördert er seit Jahren die Kultur der überwiegend afrikanischen Zuwanderer, die in den Armenvierteln seiner Heimatstadt - so auch Marianella - leben. Und da Alfonso de Liguori selbst ein bedeutender Komponist seiner Zeit war (von ihm stammt u.a. das bekannte italienische Weihnachtslied "Tu scendi dalle stelle"), drang Avitabile immer tiefer in die Geschichte des Priesters ein.

"Sacro Sud" wurde schließlich ein geradezu spirituelles Werk. Avitabile arbeitet mit den traditionellen Instrumenten Süditaliens, unter anderem der aus Sardinien stammenden "Launedda", einer auf die Antike zurückgehenden Dreifachflöte. Als Instrumentalisten konnte er ihren berühmtesten Spieler gewinnen: Luigi Lai, der schon den 1970er Jahren an der Seite Angelo Branduardis berühmt wurde.

Mit "Sacro Sud" rückt auch Enzo Avitabile selbst an die Seite Branduardis. Der Cantautore und Geiger aus Genua, dessen Musik selbst in der traditionellen (religiös geprägten) Volksmusik des Mittelalters und der Renaissance wurzelt, ließ sich nämlich vor einigen Jahren vom Leben und Werk des Heiligen Franziskus von Assisi zu einem Album inspirieren. Der Heilige Alfonso von Liguori, der auch "Vater der Armen" genannt wurde, erscheint vor diesem Hintergrund als Franziskus' süditalienische Entsprechung.

Doch im Gegensatz zu Branduardi, der bei der Auseinandersetzung mit Franziskus von Assisi nur auf dessen Texte, nicht aber Melodien zurückgreifen konnte, lagen Avitabile einige Kompositionen des Heiligen Alfonso zur Bearbeitung vor. Gemeinsam mit anderen traditionellen Liedern ergänzte er sie um eigenen Kompositionen, die er dann mit Lai und anderen Musikern (Maurizio Martinotti, dem Chor "Polifonica Alphonsiana" und geistlichen Sängern aus Sessa) in ein sakral geprägtes Konzept mit historischen Instrumenten und Chorgesang (Polifonica Alphonsiana" aus S. Agata de Goti und die "Cantori del Miserere" aus Sessa Aurunca) einbettete.

"Sacro Sud" wird dank der Authentizität und des Respekts aller Beteiligten zu einer spirituellen Reise in die Vergangenheit. Doch Avitabile will damit auch auf die Gegenwart verweisen, in der Gewalt, organisierte Kriminalität und die ungleiche Verteilung des Wohlstands weiterhin Ursachen für Armut und Entrechtung sind - nicht nur in Neapel.

© Michael Frost, 27.05.2007

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