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Neue Ära schwuler
Musikkultur


"I'm a bird girl, and bird girls can fly". So, wie Antony diese Zeilen singt, glaubt man ihm alles. Auch, dass man selber fliegen kann. Er selbst singt bereits mit Engelsstimme, und, so seine wichtigste Förderin Laurie Anderson: "Zwei Worte und er hat dir das Herz gebrochen". "I am bird now" heißt das Album von Antony and the Johnsons, und nicht eben wenigen Kritikern gilt es als das gelungenste Album des Jahres - man weiß nur noch nicht, in welcher Sparte.

Denn Pop ist das wohl nicht. Rock schon gar nicht, und auch, wenn Antony die Atmosphäre des Blues zelebriert, dann passt sein theatralischer Vibrato so gar nicht zu dessen traditioneller Attitüde. Sehnsucht, Verzweiflung, Melancholie, aber auch Zärtlichkeit, Erotik, purer Sex - kaum eine Stimme der Gegenwart erreicht derart viele Oktaven der Gefühlswelt.

Nicht nur Laurie Anderson ist ihm verfallen, sondern auch ihr Mann Lou Reed. Er war es, der Antony auf seiner "Raven"-Tour einem internationalen Publikum vorstellte. Bis dahin war er eine der schillerndsten Figuren der schwulen Kulturszene New Yorks, hatte auch schon in einer Low-Budget-Produktion von Steve Buscemi mitgespielt und ein erstes Album aufgenommen.

Der große Durchbruch folgte jedoch jetzt, mit "I am a bird now". Antony und seine kongeniale Begleitband "The Johnsons" entfalten darauf eine musikalische Vision abseits des Gewohnten. Musikalisch in der Nähe von Nick Cave, stimmlich ein Verwandter von Klaus Nomi - Antony denkt in Extremen. Hier eine leise Ballade ("Man is the baby"), dort eine dramatische Arie ("For today I am a boy") - mit der Wandlungsfähigkeit seiner Musik wechselt er auch die Geschlechterrolle ("One day I'll grow up and'll be a beautiful woman, one day I'll grow up and'll be a beautiful girl - but for today I am a child, for today I am a boy ...").

Mit Antony beginnt eine neue Ära schwuler Musikkultur, die an große Vorbilder anknüpft (mit Boy George gibt es auf dem Album sogar ein Duett, Marc Almond wird immerhin zitiert), ansonsten aber eigenständige Wege geht und es nicht mehr nötig hat, durch einen bestimmten Habitus mit Klischees zu kokettieren. Antony, so klingt es aus jeder Note, jedem Takt, ist eins mit sich und seiner Musik, wirkt niemals gekünstelt. So entfaltet er eine Aura von einzigartiger Intensität.

Bemerkenswert ist auch die Schar seiner Begleiter. Allen voran "The Johnsons", eine kleine, erlesene Gruppe angestammter Instrumentalisten, die ihm und seinem Klavierspiel das Klanggerüst bieten. Auf "I am a bird" kommt dann noch Rufus Wainwright dazu. Sein Song "What can I do?" weckt Erinnerungen an die Stimme Chet Bakers. Daneben liefert sich Lou Reed mit Antony ein fulminantes Duett ("Fistful of love"), Devandra Banhart ist mit von der Partie ("Spiralling"), und der bereits erwähnte Boy George, der schon lange nicht mehr so kraftvoll klang wie in diesem wunderschönen, Soul-inspirierten Liebeslied ("You are my sister").

Und noch eine Ikone ist präsent, jedenfalls optisch. Es handelt sich um Andy Warhols Star Candy Darling. Ihr Foto ziert das Cover von "I am a bird now". Eine Hommage, und ein rührender Dank. Denn als Antony mit Lou Reed durch die Welt tourte, überließ der ihm die Interpretation des bewegenden "Candy says". Antony machte den Song zu seinem Lied (zu hören auf Reeds Live-Album 'Animal serenade') und begann zu fliegen. "I'm a bird girl, and bird girls can fly".

© Michael Frost, 01.07.2005

Tipps zu ähnlichen CDs und Bands:

Rufus Wainwright, Marc Almond, Lou Reed, Nick Cave, Beth Gibbons, Jay-Jay Johanson, Chet Baker

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