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Der Spaziergänger
von Sans Souci


Es ist sein Berlin-Album. Rufus Wainwright kam, "so tired of America", wie er in seinem Song "Going to a town" beschreibt, in die deutsche Hauptstadt, nicht etwa, weil sie gerade trendy sei, sondern wegen der "altmodischen und klassischen Elemente". Das gelte auch für die Musik: "Ich habe meine Songs immer mit einem romantischen Geist geschrieben und im Grunde ihres Wesens basieren sie auch auf sehr klassischen Harmoniestrukturen."

Im Gegensatz zu vielen seiner Singer/Songwriter-Kollegen mag er sich dabei nicht mit einem minimalistischen Gefrickel von Gitarre und Computer zufrieden geben: seine Alben atmen die Welt der Oper, die große Bühne, die dramatische Gestik, den Orchestergraben.
Das macht schon der Opener (besser: Ouvertüre) seines Berlin-Albums "Release the stars" deutlich: die ersten Klänge gehören dem London Session Orchestra, und dessen Streicher und Bläser zeichnen die Handschrift dieses pompösen Albums, in dem alles groß zu sein scheint: die Melodien, die Geigen, Pauken und Trompeten, die Geschichte(n), Wainwright selbst, der Klassik und Pop zusammenführt - wie die Architektur, die er in Berlin und Umgebung (u.a. das von ihm in einer einfühlsamen Ballade besungene Schloss Sanssouci) vorfand.

Dass er parallel von der Deutschen Grammophon in die "Yellow Lounge" eingeladen wurde, um dort seine klassischen Lieblingsstücke aufzulegen, überrascht kaum. Das aus dem Projekt entstandene Album erscheint gleichzeitig mit seiner eigenen CD und wirkt streckenweise wie deren Gebrauchsanleitung: Verdi und Puccini stehen für die verschwenderische Opulenz der Oper, Beethoven, Haydn und Schubert für den Feinsinn. In "Release the stars" treffen alle aufeinander.

Inzwischen - es ist ja bereits sein fünftes Album - kann Rufus Wainwright schon fast über eine Stammbesetzung verfügen. Vor allem Programmierer und Orchesterchef Marius de Vries ist ihm ein unverzichtbarer Partner geworden, und auch Martha Wainwright, seine Schwester, ist wieder mit von der Partie. Auf Duettpartner Antony musste er dagegen verzichten - der ging gerade mit Björks "Volta" fremd.

Statt dessen holte Wainwright sich mit Neil Tennant (Pet Shop Boys) einen Experten des Bombast-Pop ins Boot. Der jedoch hält sich mit britischem Understatement vornehm im Hintergrund. Doch in Wahrheit sind die beiden gar nicht so weit auseinander wie es scheint: Wo Wainwright seine Symphoniker aktiviert, tüfteln die Pet Shop Boys am Computer, mit gleichermaßen ausladendem Ergebnis.

Es mag sein, dass manchem der Sound zu aufgesetzt, gar aufgeblasen wirkt, zu sehr in Kitsch und Pathos übergeht. Doch Wainwright bewältigt das Kunststück, seine barocken Ideale in die Gegenwart zu übertragen, mit Bravour. Die ausgefeilten Harmonien zwischen Klassik und Kirmes, Revuetheater und Wanderzirkus klingen trotz des Großeinsatzes der Instrumente immer leicht und elegant, und sie unterstreichen seine von Leiden und Leidenschaften getragenen Texte. An deren Ende steht der Titelsong, den Wainwright als Appell an die Ü30-Generation verstanden wissen will (der er inzwischen selbst angehört), Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen und "die Zügel in die Hand zu nehmen", denn: "Old Hollywood is over". Doch Berlin vielleicht auch. Denn Wainwright hat, glaubt man einem Songtitel, schon wieder ein neues Ziel vor Augen: "Leaving for Paris".

© Michael Frost, 02.06.2007

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