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Ruggeri Unplugged
Gastkritik von Jan Berlin


"Le vie en rouge" ist ein Live-Album, aber ganz anders als ein typisches Live-Pop-Album. Es fehlt das Verschwitzte, das Außer-Atem-Sein - im Grunde die Live-Stimmung, die sonst immer krampfhaft versucht wird rüberzubringen, aber ohnehin nur von denjenigen nachempfunden werden kann, die den Künstler selbst einmal live erlebt haben. So dominieren hier nicht E-Gitarren und Schlagzeug, sondern Geigen, Trompeten, Klavier und akustische Gitarren.

Besser vergleichbar ist dieses Album wohl mit den von vielen internationalen Künstlern mittlerweile veröffentlichten Unplugged-Sessions. Enrico Ruggeri nämlich hatte alle Titel mit einem Orchester vor Sitzplatz-Publikum aufgenommen. Ich habe eine ganze Weile überlegt, aber mir ist kein zeitgenössischer Musiker eingefallen, zu dem diese Art der Vertonung besser passt als zu diesem Bombast-Rocker.

Aus allen Phasen seines Schaffens hat der Mailänder Titel neu eingespielt, dazu fünf ganz neue Lieder. Das immer wieder Faszinierende an Enrico Ruggeri ist seine Vielseitigkeit, bei der er nie seine Unverwechselbarkeit verliert. So schöpft er alle Möglichkeiten aus, die das Orchester bietet und bleibt sich dabei doch immer irgendwie treu. Langsame Stücke, die hier zum Teil noch gefühlvoller daher kommen als im Original (genial: "Rien ne va plus", "Prima del temporale"), oder eine mit einem bluesigen Touch eine Piano-Bar-Atmosphäre vermitteln ("Il portiere di notte", "Mata che parla con dio"). Noch stärker als sonst setzt der 45-Jährige auf in der Pop-Musik eher seltene Tango-, Swing- und Polka-Elemente, wie auch bei zwei neuen Titel "Primavera a Sarajevo" und "I naviganti". Manchmal - wie vor allem bei "Nuovo Swing" - fühlt man sich sogar an Paolo Conte erinnert.

Bei dem wohl größten Hit "Mistero" kommt dann doch noch einmal "richtige" Live-Atmosphäre" auf. Bereits vom ersten Ton an hört man lauthals Mitsinger im Hintergrund, bei denen man zunächst nicht weiß, ob es die Zuschauer sind oder ein Chor. Die Gleichmäßigkeit und das Auftauchen eines Chors an anderer Stelle, lässt dann doch auch professionelle Stimmen schließen. Ein weiterer großer Erfolg "Polvere" wird von einem rockigen Titel in eine geigenlastige Ballade verwandelt.

Die wahrscheinlichste Reaktion nach dem Hören dieses Albums wird sein: Schade, dass ich bei der Aufnahme nicht dabei war. Diese Doppel-CD ist wirklich vom ersten bis zum 26. Lied absolut fantastisch.

 

"Enrico Ruggeri: La Vie en Rouge" ist eine Gast-Kritik
von Jan Berlin / Mai 2003
Sie erschien bereits auf seiner Website: www.jandorf.de.

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