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Unendliche
Ausdrucksformen


Wie keine andere portugiesische Sängerin vor ihr hat Mísia den Fado, Lissabons traditionellen "Blues", zur Kunstform erhoben. Ihr Anspruch gilt dabei weniger der Bewahrung als vielmehr der Erneuerung. Sie verknüpfte den Fado mit klassischen Balladen, zuletzt auf ihrem mit dem Preis der deutschen Schallplattenkritik ausgezeichneten Album "Canto", und nun geht sie erneut einen großen Schritt voran. "Drama box" heißt das Werk, mit dem Mísia eine Reise antritt, die sie über die musikalischen Grenzen Portugals hinausführt.

"Ese momento" - dieser Moment -, heißt der Eröffnungstitel, ein bewegender spanischer Bolero aus der Feder von Armando Manzanero, der schon Jazz-Größen wie Charlie Haden beflügelte ("Esta tarde vi llover"). Mit dem Stück kehrt Mísia nach Barcelona zurück, wo sie aufwuchs, nachdem ihre Familie von Portugal umgesiedelt waren.

Erst als junge Erwachsene kehrte Mísia nach Portugal zurück, und heute wird sie als "häusliche Nomadin" (Carmen Castillo) beschrieben, eine Frau mit vielen Gesichtern, Sprachen und fast unendlichen Ausdrucksformen. Zur Seite steht ihr wiederum einer der interessantesten Künstler des Landes: Vasco Graça Moura, ebenfalls in Porto geboren, der sich sowohl als Dichter und Übersetzer (u.a. übertrug er Rilke und Benn ins Portugiesische) einen Namen machte als auch derzeit in einer völlig poesiefreien Tätigkeit als Abgeordneter im Europäischen Parlament. Eine politische Richtung (Graça Moura gehört der konservativen Fraktion an) möge man daraus nicht ableiten, denn zu einem ihrer glühendsten Verehrer gehört auch Literatur-Nobelpreisträger José Saramago, ein bekennender Kommunist. Auch er schrieb erneut einen Text für Mísia: einen Fado.

Die große Zahl bedeutender Poeten, mit denen Mísia sich seit jeher umgibt, wird auf "Drama box" nochmals deutlich erweitert. Sie überschreitet dabei nicht nur geographische Grenzen, sondern auch Genres. Sie lud Ute Lemper ein, die deutsche Übersetzung eines Gedichts von Graça Moura zu rezitieren ("Fogo preso"/Feuerwerk), und am Ende des Albums hört man ähnlich markante Stimmen, die das selbe Gedicht in ihren Sprachen vortragen: Fanny Ardant, Carmen Maura, Miranda Richardson und Maria de Medeiros.

Doch zuvor unternimmt Mísia, begleitet von den delikaten Klängen ihres exquisiten Ensembles, aus dem vor allem das Zusammenspiel von Luis Cunha (Geige) und victor Villena (Bandoneon) herausragt, Ausflüge in den Tango Expósitos, Cadícamos und Piazzollas, in dem sie schließlich die gleichen Sehnsüchte, Leiden und Leidenschaften entdeckt wie zuvor im portugiesischen Fado und den spanischen Boleros.

"Yo soy Maria // de Buenos Aires // no ven quíen soy yo" - "Ich bin Maria // aus Buenos Aires // Seht ihr nicht, wer ich bin?" - Mit diesen Worten wird die als Susanna Maria in Porto geborene Mísia tatsächlich zu der Maria, die Astor Piazzolla in seinem gleichnamigen Tango beschreibt. Man sieht genau, wer Mísia ist, man spürt es, fühlt es, in jeder Pore, mit jedem Ton ihrer Musik.


© Michael Frost / 20.05.2005

 

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