In
seltener Eintracht hatten Publikum und Kritiker die junge, in Algerien
aufgewachsene Souad Massi 1999 bei der Veröffentlichung ihres
Album-Debüts "Raoul" gefeiert. Die CD brachte ihr eine
Nominierung als beste Nachwuchskünstlerin bei den "World
Music Awards" ein. Besonders beeindruckt zeigten sich die Kritiker
von der undogmatischen Art ihres Umgangs mit unterschiedlichen Richtungen
und der fehlenden Möglichkeit, sie auf einen bestimmten Stil
festzulegen. Galt sie den einen als Chanson-Interpretin, war sie für
die nächsten ein neuer Stern am Himmel des Folk-Rock, andere
wiederum meinten in ihr eine Kollegin arabisch-stämmiger Weltmusik-Stars
wie Natacha Atlas zu sehen.
Die
Musik der jungen Souad Massi ist wie eine Kreuzfahrt zu den Hafenstädten
des Mittelmeeres. "Deb" (Gebrochenes Herz), so der Titel
ihres neuen, zweiten Albums, beginnt vermutlich in ihrer algerischen
Heimat, vielleicht im ehrwürdigen Oran, mit einer elegischen
Ballade, doch schon im zweiten Song ("Ghir enta"/ Ich liebe
nur dich) setzen wir zur spanischen Küste über, wo die arabischen
Streicher zunächst auf eine einzelne Flamenco-Gitarre und einen
luftigen Rumba-Rhythmus treffen, später auf eine ganze Gruppe
andalusischer Gitanos und ihren feurigen Gypsy-Pop. Zur Musik der
spanischen und französischen Roma kehrt Massi auf "Deb"
immer wieder zurück.
Die
Reise führt im weiteren Verlauf des Albums nach Marseille, wo
Musiker wie Khaled oder Cheb Mami aus der Verbindung arabischer Popmusik
und französischem Chansons ein eigenes Genre schufen, dem nun
auch Souad Massi ihren Tribut zollt. Man mag sich dann vorstellen,
wie sie in Paris der großen westafrikanischen Gemeinschaft begegnet,
deren Rhythmen die Grundlage für "Yawlidi" (Mein kleiner
Junge) bildet, aber auch auf Songwriter-Kolleginnen, die Patinnen
so introvertierter Gitarren-Chansons wie "Le Bien et le Mal"
(Das Gute und das Böse) oder "Moudja" (Die Welle) sein
könnten.
Doch
anders als die meisten dieser Kolleginnen mit ihren urban-distanzierten
Texten gibt Souad Massi ganz die verträumte Romantikerin, die
vor allem von der Sehnsucht, Leidenschaft und Liebe singt, oder umgekehrt
von gebrochenen Herzen und der Angst vor der Einsamkeit.
"Du
bist der Einzige in meinem Herzen, du bist der Einzige, den ich liebe",
säuselt Souad Massi mit betörender Stimme, und es gibt nicht
eben viele Sängerinnen, denen man solcherlei Einfachlyrik nachsehen
würde. Doch ihre Stimme aus Samt und Seide ist von magischer
Anziehungskraft, unwillkürlich wogt man im Takt ihrer zarten
Melodien und lässt sich bereitwillig treiben.
Und
erst nach dem abrupten Ende von "Deb" begreift man das Geschehen:
Souad Massi ist die Loreley der multikulturellen Moderne, der die
Menschen an allen Ufern des Mittelmeeres erliegen werden.
©
Michael Frost, 22. Oktober 2003