Suchen nach:
In Partnerschaft mit Amazon.de

Kontinentaler Einfluss


Als kürzlich an dieser Stelle das Album eines Künstlers namens Mugison vorgestellt wurde, geschah dies mit der Feststellung, dass Isländer offenbar alles könnten - außer Mainstream. Wie um diese Behauptung zu widerlegen, kommt nun dieser Tage das Debütalbum eines weiteren Isländers auf den Markt, der Helgi Jonsson heißt und den Gegenbeweis antritt: Isländer sind durchaus in der Lage, sich auf dem Sektor zwischen Singer/Songwriter und Pop/Rock zu positionieren.

Die Erkenntnis hat etwas Wohltuendes: Immerhin muss man Jonssons Album nicht mittels schroffer isländischer Landschaften erklären, man kann sich einfach gehen lassen und den einen oder anderen Einfall dieses soliden Debüts genießen und ist insgeheim ganz froh, es einmal nicht mit der intellektuellen Überdehnung Björk'scher Vokalakrobatik oder der minimalistisch-versponnenene Tonfrickelei von Bands wie Múm zu tun bekommen zu haben.

Erst vor zwei Jahren will der 25jährige Jonsson mit dem Schreiben von Songs begonnen haben. Dafür klingen die zehn Kompositionen seines Albums erstaunlich ausgefeilt und reif. Ihre Atmosphäre ist leicht und durchlässig, selbt in den rockigeren Passagen, was wohl vor allem dem hellen, melancholischen Timbre seiner Stimme zu verdanken ist - und seiner fundierten Ausbildung, die er in Reykjavik begann und inzwischen in Österreich abschloss, wo er weiterhin lebt und auch sein Album unter den Fittichen des Jazz-Gitarristen Wolfgang Muthspiel und seines Labels "Material Records" einspielte.

Vielleicht ist es dieser "kontinentale" Einfluss, der Jonssons Songs weniger extravagant oder sperrig klingen lässt als die seiner Landsleute. Dennoch kann auch er sich dem Klischee nicht restlos entziehen - oder will es auch gar nicht. Immerhin trägt sein Album einen isländischen Titel: "Glóandi" - glühend -, obwohl er die meisten Songs in Englisch singt. Doch hier zahlt sich die Pionierarbeit der Kollegen aus: Isländisch gehört bereits fast zu den etablierten Sprachen im internationalen Rockgeschäft, und das bei lediglich ca. 250.000 Muttersprachlern weltweit.

So gelingt Helgi Jonsson ein bemerkenswerter Start, mit dem er sich alle Türen offen hält: Ohne seine Herkunft zu verleugnen, erobert er sich einen Platz in der Mitte der internationalen Szene, wo das Gedränge bekanntlich am größten ist - und doch bewahrt er sich einen eigenen, individuellen Ausdruck. Auf den Fortgang dieser Karriere darf man gespannt sein.

© Michael Frost, 03.09.2005


[Archiv] [Up]