Isländer,
die mit ihrer Musik auf dem internationalen Plattenmarkt ankommen wollen,
stehen inzwischen unter einem besonderen Druck. Isländische Musik,
so die zum Klischee verdichtete Erwartungshaltung, ist verrückt
wie Björk, entrückt wie Sigur Ros, verspielt wie Múm,
verträumt wie Emiliana Torrini - oder besser noch: alles auf einmal.
Diesen
waghalsigen Versuch unternimmt jetzt Ornelius Mugison. Und er packt
noch einiges drauf. Nachdem er einige Zeit sein Glück in London
gesucht hatte, ist er auf die Eisinsel im Nordmeer zurückgekehrt
und hat dort nun schon sein drittes Album (nach seinem Debüt
"Lonely mountain" und der Filmmusik "Niceland")
eingespielt, das den grotesken Titel "Mugimama, is this monkey
music?" trägt - zweifellos eine rhetorische Frage, doch
wer weiß, manch reaktionärer Zeitgenosse würde vermutlich
abstreiten, dass hier ein zwar unangepasster, aber gerade deshalb
besonders kreativer Songwriter am Werke ist, der sich und seinen Zuhörern
auf der Grundlage traditionellen Folk- und Bluesrhythmen neue Perspektiven
eröffnet.
Viel
mehr als seine Freundin Rúna, die ihm mit sanfter Engelsstimme
zur Seite steht, benötigt Mugison nicht. Oft werden seine Songs
nur von einer Gitarre oder auf dem Klavier begleitet, manchmal aber
auch vom Geräusch des Füllens eines Wasserglases ("2
birds") oder flirrenden Computersamples ("Never give up").
Verhalten und introvertiert klingt es dann, wenn er traurige Balladen
wie "Hold on 2 happiness" vorträgt, die einer momentanen
Stimmung zu folgen scheinen, vollkommen spontan und deshalb echt und
atmosphärisch wirken.
Auch
optisch vermeidet Mugison jeden Anflug von Konventionalität,
und das gilt nicht nur für sein aktuelles Pressefoto, das ihn
in fast erhabener Positur, einem Reiterstandbild gleich, darstellt,
allerdings auf einem wenig graziösen, dickbäuchigen Islandpony.
Das Video zum Album-Opener "I want you", zu besichtigen
auf Mugisons Website, ist eine überraschende, aber sehr liebevolle
Hommage zum 50. Hochzeitstag seiner Großeltern. Das Lied selbst
orientiert sich an einer Mischung aus Folk, Postrock und Elektro -
Radiohead, Will Oldham, Nicolai Dunger - isländische Kreativität
hat Platz für viele Einflüsse und seltsame Songtitel wie
"The chicken song", "Murr murr" oder "Sad
as a truck".
Fast
hat es den Anschein, als würde sich eine junge Generation zukunftsweisender
Songwriter zur Bewegung formieren. Nicht nur Mugison, sondern beispielsweise
auch sein dänischer Kollege Jacob Faurholt, Minor Minority und
St. Thomas aus Norwegen machen dabei besonders auf sich aufmerksam
- aber sie sind längst nicht mehr die Einzigen, die verschiedene
Stilelemente unter bewusst einfachen Bedingungen miteinander verknüpfen,
Fehler und Dissonanzen dabei fest einkalkulieren, weil sie der Authentizität
der Produktion dienen und ihren echten Charakter nochmals hervorheben.
Diese
Neuorientierung erscheint gleichermaßen stimmig und notwendig,
wenn man sie als logische Gegenbewegung zur Sterilität überproduzierter
Massenware versteht, die den internationalen Musikmarkt fest im (Würge)Griff
hat. Mugisons CD steuert diesem Mainstream-Wahn ebenso gezielt wie
gekonnt entgegen. Und ganz nebenbei stützt er damit den Eindruck,
dass Isländer wirklich keine "normale" Musik machen
können. Zum Glück für eine ganze Branche und zur Freude
der Anhänger guter Musik.
©
Michael Frost, 05.04.2005