Indochine, 
          in den 80er Jahren wohl die erfolgreichste Wave-Band Frankreichs, hatte 
          immer sehr mit dem Problem zu kämpfen, allzu häufig mit den 
          britischen Protagonisten des Genres verglichen zu werden. Sie galten 
          als das französischen Pendant zu Bands wie The Cure oder Depeche 
          Mode, und in gewisser Weise erlitten sie auch deren Schicksal: Vor allem 
          The Cure und Indochine blieben sich musikalisch immer treu - und mussten 
          deshalb hinnehmen, dass der Zeitgeist irgendwann an ihnen vorüberzog, 
          was jedoch keinesfalls bedeutete, dass ihnen die Fans davongelaufen 
          wären. Im Gegenteil: Sie blieben ihnen treu wahrscheinlich gerade 
          aufgrund ihrer beharrlichen Weigerung, sich irgendeinem Mainstream anzupassen. 
          Wie 
            auch ihre britischen "Verwandten" stehen Indochine heute 
            für die Musik einer bestimmten Zeit, in gewisser Weise auch für 
            eine Lebenseinstellung, die düsterer und melancholischer ist 
            als der Mainstream; manchmal auch morbid, abgründig und verzweifelt, 
            aber genau deshalb auch immer im Gegensatz zur Gleichgültigkeit 
            der Partygesellschaft.
          Indochine 
            haben eine wechselvolle Bandgeschichte. Mehrfach stand die Zukunft 
            der Band auf dem Spiel. Der jüngste und zugleich schwerste Schicksalsschlag, 
            der fast das "Aus" der Band bedeutet hätte, war 1999 
            der Tod von Stéphane Sirkis, der gemeinsam mit seinem Bruder 
            Nicola die Hauptachse der Band gebildet hatte.
          "Paradize" 
            ist das erste Studio-Album seit diesem tragischen Ereignis. Vom Stil 
            der vorangegangenen Alben unterscheidet es sich überraschend 
            wenig und ist dennoch - oder genau deshalb - ein gelungenes und überzeugendes 
            Comeback, bei dem sie unter anderem von Melissa Auf der Maur (ehemals 
            Bassistin bei Hole und den Smashing Pumpkins) unterstützt wurden.
          "Was 
            Indochine macht", schreibt die Plattenfirma, "ist vor allem 
            und zuerst Indochine". Eine repräsentative Visitenkarte 
            für das gesamte Album ist das Stück "La nuit des fées": 
            Powerpop, treibende Drums, Syntheziser, laute, aber melodische Gitarren-Riffs, 
            der dramatische, manchmal bedrohliche Grundton der Arrangements, kontrastiert 
            von Nicolas weicher, immer etwas verträumten Stimme - das sind 
            auch im Jahr 2002 die Zutaten des typischen Indochine-Sounds, wie 
            auch die teils beklemmenden Phantasien, die in den Texten zum Ausdruck 
            kommen, die wiederkehrende Auseinandersetzung mit religiöser 
            Symbolik, gelegentlich die Anlehnung an die Gothik-Bewegung - über 
            den optischen Eindruck hinaus. 
          Sowohl 
            für The Cure als auch Indochine gilt dabei, dass ihr Festhalten 
            an den eigenen musikalischen Visionen keinesfalls mit Ideenlosigkeit 
            oder Mangel an Kreativität verwechselt werden darf. Warum nicht 
            an der eigenen Unverwechselbarkeit festhalten, zumal dann, wenn man 
            noch zu solch atmosphärisch dichten Alben wie "Paradize" 
            in der Lage ist. 
          Michael 
            Frost, 27.04.2002