Der
Sound kommt von irgendwoher. Vielleicht nahm er den Weg über
die auf dem Cover abgebildeten Eisfelder. Kristalline Klaviertöne
setzen ein, und gleich darauf diese schneidende, klare Stimme:
"Stone blind alibi // I will eat the lie // find the word //
could break any spell that binds you". Geigen erhellen die
Szene, kurz darauf Drums und eine akustische Gitarre, jeweils im Balladentempo.
Das
ist der Beginn des neuen Albums von David Gray, Britanniens gefeiertem
Songwriter ("White ladder"), der in der Vergangenheit vor
allem mit der betonten Einfachheit seiner Songs begeisterte. Nun,
mit "Life in slow motion", präsentiert Gray die ganz
große Bühne. So wie der Opener "Alibi" nach dem
verhaltenenen Intro langsam anhebt, die Geigen sich aufbäumen,
bis am Ende ein Satz Bläser Fanfarentöne erklingen lässt
- diese ausgefeilte Dramaturgie erscheint geradewegs als Gegenteil
zur spontanen Leichtgängigkeit seines vorigen Albums "A
new day at midnight".
Er
habe die Platten von Sigur Rós gehört, erklärt Gray,
und tatsächlich findet sich die Dramaturgie ihrer Songs auch
auf "Life in slow motion" wieder. Die neuen Songs offenbaren
eine innere Struktur, sie entwickeln sich in ihrem Verlauf, ebenso
wie die Musik der Isländer, und heben sich untereinander durch
Stimmung und Tempo ab. Song-"Architektur" nennt David Gray
das zutreffend.
Diese
Vielfalt ist neu in der Musik von David Gray, und er verdankt sie
wohl der Unterstützung durch einen der profiliertesten Produzenten
überhaupt: Marius de Vries, der sonst zur Entourage von Björk
zählt und auch schon U2, Madonna, Annie Lennox, Massive Attack
und Anja Garbarek in Bestform erklingen ließ. "Er hat sehr
viel aus mir herausgeholt", gibt auch David Gray unumwunden zu.
Allerdings:
De Vries ist alles andere als ein Autokrat, der anderen sein Konzept
überstülpt. Vielmehr unterstreicht er den ursprünglichen
Charakter der Songs und hebt ihre Stärken heraus. So bleibt auch
"Life in slow motion" unverkennbar ein echtes David Gray-Album,
schon durch die leisen, melancholischen Texte, in denen viel von Abschied
und Verlassen die Rede ist, aber immer ohne falsche Sentimentalität
oder Pathos.
Am
Ende verschwindet der Sound wieder über die Eisfelder. Der Titel
heißt "Disappearing world". Das Klavier erklingt in
Moll, die Geigen bleiben im Hintergrund, wie zum Abschied werden in
einem lauten Intermezzo die Beatles zitiert, bevor dann schließlich
nur das Klavier übrig bleibt, und Grays schneidend-klare Stimme:
"Night falling on the city // sparkling red and gold // don't
it just look so pretty // this disappearing world ...".
©
Michael Frost, 09. September 2005