Schon
früher nahm Agnetha Fältskog immer wieder Bezug auf ihre musikalischen
Vorbilder. Als die Sängerin, die 1974 als "die Blonde von
Abba" weltberühmt wurde und das Bild schwedischer Frauen für
Generationen prägte, ihre erfolgreiche Solokarriere in Skandinavien
zugunsten der gemeinsamen Arbeit mit ihrem Ehemann Björn und dem
befreundeten Paar Benny Andersson und Annifrid Lyngstad an den Nagel
hängte, brachte sie ihre Idole in die gemeinsamen Projekte mit
ein.
Immer
wenn es schwierig wurde, so 1974 bei der Aufnahme des Songs "Hasta
Manana" (der alternativ zu "Waterloo" als Grandprix-Beitrag
gedacht war), habe sie überlegt, wie es wohl diese oder jene
Sängerin interpretieren würde: "Ich könnte es
so singen wie Connie Francis" - und schon war die Aufnahme im
Kasten.
Von "Thank you for the music", einer der berühmtesten
Abba-Melodien, existiert sogar eine nach Doris Day benannte Fassung,
die Mitte der 90er Jahre erstmals auf einer Compilation veröffentlicht
wurde. Hinweise auf die Verbindungen zu den Unterhaltungsstars der
50er und 60er Jahre gibt es also viele - und dennoch ist die Veröffentlichung
von "My colouring book", Agnethas Verneigung vor einer Liga
von Sängerinnen, der sie längst selbst angehört, eine
veritable Überraschung.
Siebzehn
Jahre liegen nämlich seit ihrer letzten Veröffentlichung
zurück. Damals hatte sie versucht, ihre Solokarriere auf internationalem
Terrain wieder aufzunehmen, doch viele Abba-Fans wandten sich enttäuscht
ab: Jedes neue Solo-Album zementierte nur die Trennung und zerstörte
jede Hoffnung auf eine Wiedervereinigung.
Heute
stehen die Zeichen anders. Abbas Ruhm ist ungebrochen, gerade erscheinen
ihre Alben in neuen Editionen mit beigelegtem DVD-Material, überall
wird dem "Waterloo"-Triumph vor dreißig Jahren gedacht,
und Agnethas "Colouring Book" ist höchste Aufmerksamkeit
gewiss.
Nicht,
dass es ihr darauf ankäme: "My colouring book" ist
vermutlich nicht als Beginn eines dauerhaften Comebacks angelegt,
sondern eine einmalige Angelegenheit; Ergebnis von Agnethas Spurensuche
in der eigenen Vergangenheit - einer Jugend, in der sie Dusty Springfield,
Doris Day, Petula Clark, Sandy Shaw oder die "Shangri-Las"
für sich entdeckte und ihr Wunsch entstand, selbst Sängerin
zu werden.
"My
colouring book", mein Malbuch, bedeutet, die Farbgestaltung in
die eigene Hand zu nehmen. Agnetha Fältskog tut dies erwartungsgemäß
auf allerhöchstem Niveau. Begleitet von alten Weggefährten
(Lasse Wellander, Gitarrist schon zu Abba-Zeiten), dem eigenen Nachwuchs
(Tochter Linda singt im Hintergrund), einem ganzen Orchester (Svea
Ensemble) und zahlreichen weiteren Musikern lässt sie den Glanz
vergangener Jahrzehnte wieder auferstehen. Ihre Stimme ist weiterhin
unverkennbar und einzigartig, hell und klar, mit all der Brilianz,
die einen Großteil der Unverwechselbarkeit des Abba-Sounds bestimmte.
Ihre
Versionen von Klassikern wie "I can't reach your heart"
(Connie Francis), "Remember me" (Sandy Shaw), "Sometimes
when I'm dreaming" (Art Garfunkel), "What now my love"
(Petula Clark) oder "Sealed with a kiss" (Brian Hyland)
wirken auf charmante Weise altmodisch, zeitlos und aktuell zugleich.
Unter der Regie von Agnetha Fältskog selbst und ihrer eigenen
Produktionsfirma wurden die dreizehn Titel ohne jedes aufgeblasenes
Pathos inszeniert.
Das Unspektakuläre der Musik steht somit im Gegensatz zum Aufsehen
erregendenen Ereignis ihrer Veröffentlichung, doch exakt auf
diese Weise wollte Agnetha ihr "Colouring Book" gestalten:
"Wir wollten ohne Stress und Druck arbeiten. Ich hoffe, man
hört auf dem Album, dass während der Aufnahmen eine ruhige,
geborgene und warme Atmosphäre herrschte."
Sie kann beruhigt sein: Agnetha Fältskog wäre umsonst Mitglied
der erfolgreichsten Popgruppe der Welt gewesen, wenn sie nicht in
der Lage wäre, ihre musikalischen Visionen punktgenau und perfekt
umzusetzen.
©
Michael Frost, 26.04.2004