Erst
verlacht, lange verkannt, dennoch von allen gehört und geliebt,
früher heimlich und mittlerweile ganz offen - mit dieser Abfolge
kann man Abbas unaufhaltsame Karriere auch beschreiben. Manchmal
scheint es, als sei die Band heutzutage, dreißig Jahre nach
ihrem Sieg beim Eurovision Song Contest noch erfolgreicher als damals,
in den glamourösen Siebzigern, als die vier Schweden den Europop
erfanden.
Annifrid
Lyngstad, Benny Andersson und Björn Ulvaeus und Agnetha Fältskog
hatten bereits einige musikalische Erfahrungen sammeln können,
bevor sie sich als Quartett formierten. Die Bands, in denen Björn
("Hootenanny Singers") und Benny ("Hep Stars")
in der "Vor-Abba-Zeit" spielten, trafen sich bereits 1965
während einer Sommer-Tournee durch Schweden. Als beide Gruppen
in Auflösung begriffen waren, begann die enge Zusammenarbeit
der beiden Abba-Männer.
In
dieser Zeit unterschrieb auch Anni-Frid ihren ersten Plattenvertrag.
Während ihrer Tour traf sie Benny in einem Restaurant in Malmö:
"Er war dort mit Björn und schrieb Lieder für den schwedischen
Song Contest. Nichts besonderes passierte", erzählte sie
rückblickend. Später traf sie ihn in Stockholm wieder.
Auch
Agnetha war musikalisch früh aktiv: Sie spielte Klavier und komponierte
selbst. Als sie 17 war, nahm CBS sie unter Vertrag. Björn traf
sie erstmals bei einer Fernseh-Show, in der sie unabhängig voneinander
auftreten sollten. Von da an trafen sie sich öfter ...
Anfangs sangen Agnetha und Frida hauptsächlich die Background-Stimmen
für die Männer, doch schnell sahen Benny und Björn
ein, dass die Frauen die besseren Stimmen hatten. "Hej gamla
man" wurde die erste gemeinsame Aufnahme für "Polar
Records", Plattenfirma ihres Managers Stig Anderson, dem später
"fünften Abba", der dafür sorgte, dass die Band
zum internationalen Konzern aufstieg, dessen Umsatz zeitweise den
von Volvo überstiegen haben soll.
Nachdem
"People need love" und "He is your brother" 1972
in Schweden in die Charts kamen, planten "Björn & Benny
& Agnetha & Anni-Frid" - der Name "Abba" entstand
erst später - ihre Teilnahme am Eurovision Song Contest bereits
für 1973. Ihr Beitrag "Ring ring" schlug bei der Vorentscheidung
ein wie eine Bombe: das Publikum war aus dem Häuschen, aber die
aus so genannten "Musikexperten" bestehende Jury fand ein
anderes Lied besser. Seitdem sind die Jurys in Schweden abgeschafft.
"Ring
ring" wurde in ganz Skandinavien ein Hit. Die Medien wurden auf
das Quartett aufmerksam und formten aus den Anfangsbuchstaben der
Vornamen das Markenzeichen:
ABBA - übrigens auch Name einer schwedischen Firma, die Fischkonserven
herstellt. "Das war ein wenig verwirrend", sagte Agnetha.
Die Firma hatte aber nichts dagegen, "so lange man sich nicht
für eure Musik schämen muss".
Der
"Grand Prix Eurovision de la Chanson" erschien Abba damals
aber als einzige Chance, auch international Fuß zu fassen. Mit
aller Kraft arbeiteten sie an ihrem Beitrag, entschieden sich erst
im letzten Moment für das fetzige "Waterloo" und gegen
die ruhige, überwiegend von Agnetha gesungene Ballade "Hasta
mañana".
Das
Ergebnis kann bis heute jeder mitsingen: Abba gewann, "Waterloo"
toppte überall die Charts, selbst in Großbritannien.
Und dennoch prognostizierten die Kritiker der Band das übliche
Schicksal der Grand-Prix-Sieger, nämlich "One Hit Wonder"
zu sein. Und tatsächlich: Die Neuauflage von "Ring ring"
blieb auf Platz 32 der britischen Charts hängen, "So long"
und "I do I do I do I do I do", den nachfolgenden Singles,
ging es nicht besser.
Der
Triumpfzug begann erst mit S.O.S., der ersten von 18 (!) aufeinander
folgenden Top 10-Singles der vier Schweden in Großbritannien
zwischen September 1975 und Januar 1982. Als nach "S.O.S."
schließlich die Single "Mamma mia" erschien, gaben
sich die spröden Briten, die bis heute Schwierigkeiten mit Pop-
und Rockbands vom "Kontinent" haben, geschlagen. Überall
auf der Welt wurde die Band gefeiert, ein Hit jagte den nächsten.
Nur
die musikalische Eroberung der USA schlug fehl. Ihr einziger Nr. 1-Hit
dort war "Dancing Queen", die erste Single-Auskopplung ihrer
1977 erschienen LP "Arrival".
Um in den USA erfolgreich zu sein, hätte das Quartett dort präsenter
sein müssen, doch Reisen war nie Abbas Sache. Agnetha und Björn
hatten ein Kind zu versorgen, aber auch Benny und Frida legten Wert
auf ihr Familienleben, und so wurden Abba zu Pionieren der Video-Clips,
die sie zu ihren Singles produzierten, und die es ihnen ermöglichten,
auf allen Fernsehschirmen der Welt präsent zu sein, ohne Schweden
verlassen zu haben. Die absolut verrückte Siebziger-Jahre-Optik
der Aufnahmen und des unglaublich geschmacks-verirrten Outfits der
Vier macht die Filme aus heutiger Sicht fast zu Dokumenten der Zeitgeschichte.
Bei
der Promotion von "The Album" 1978 verzichteten Abba nach
der Geburt von Björns und Agnethas zweitem Kind ganz auf eine
Tour und veröffentlichten statt dessen einen Kino-Film ("ABBA-The
Film"), der sie vor allem bei Live-Auftritten in Australien zeigt,
wo Abba immer ihre treueste Fangemeinde hatten.
In
den 90ern war es das Duo Erasure, das die Videos wiederentdeckte,
parodierte und eigene Versionen alter Abba-Klassiker neu auflegte
("Abba-esque"). Sie werden nicht geahnt haben, was sie auslösten:
Eine der erfolgreichsten Wiederentdeckungen der Popgeschichte. Auf
Erasure folgten zahllose "Abba-Kopien", manche platt und
überflüssig, andere dagegen wie die Band "Björn
again" witzig, originell und inzwischen mit dem Segen der echten
"Abbas", die Fragen nach einer Reunion gern damit beantworten,
die Leute sollten doch zu Björn Again-Konzerten gehen, das mache
keinen Unterschied.
Über
die Jahre bewiesen Abba nicht nur die Fähigkeit, an Perfektion
unübertroffene Popsongs schreiben und arrangieren zu können,
zudem besaßen sie mit Agnetha und Frida zwei der markantesten
und unverwechselbarsten Stimmen der Popgeschichte, und gemeinsam mit
Manager Stig Anderson entwickelten sie auch ein ungeheuer sicheres
Gespür für den Geschmack des Publikums. So entstanden unvergessene
Meisterwerke wie "Dancing Queen", "Knowing me, knowing
you", "Take a chance on me", "Chiquitita",
"Souper trouper", "The winner takes it all", um
nur die erfolgreichsten zu nennen.
Schon
1978, bei den Aufnahmen zu "The Album" sprachen Benny und
Björn davon, einmal ein Musical schreiben zu wollen. Sie waren
begeistert von den Kompositionen Andrew Lloyd Webbers und hatten vor,
ähnliches zu realisieren. Auch hier zeigt sich ihre sichere Hand
für Publikumsgeschmack: Lloyd Webbers Musicals standen damals
noch ganz am Anfang ihres Erfolgs. In den weiteren Aufnahmen, so auf
dem Album "Super trouper", noch stärker aber auf "The
visitors", merkt man den stilistischen Wandel, der das Björn&Benny-Musical
"Chess" bereits vorbereitet.
Während
Abba sich in Richtung Musical entwickelte, veränderte sich die
Musiklandschaft insgesamt, aber mit entgegengesetztem Ziel: Punk und
Wave wurden Ende der 70er Jahre überall in Europa als Stilrichtungen
immer einflussreicher. Parallel gingen die private Beziehungen sowohl
zwischen Björn und Agnetha als auch zwischen Benny und Frida
zwischen 1979 und 1981 auseinander. Die Trennung der Paare wird durch
melancholische Songs wie "The winner takes it all", "The
day before you came" und "When all is said and done"
begleitet und läutete, zunächst unbemerkt und unausgesprochen,
auch das Ende der Gruppe ein. Einen Auflösungsbeschluss habe
es nie gegeben, sagen Vertraute bis heute, eines Tages war es einfach
passiert - der Zauber war nicht mehr da.
Frida
und Agnetha versuchten, nach der Trennung 1982 an ihre Solokarrieren
wieder aufzunehmen, aber an die gemeinsamen Erfolge können sie
nicht anknüpfen. Frida versuchte 1997 mit ihrem Album "Djupa
andetag" einen erfolgreichen Neuanfang in Schweden. Agnetha
verschwand nahezu vollständig aus der Öffentlichkeit und
lebte lange zurückgezogen in der Nähe von Stockholm. Umso
überraschender erschien die Ankündigung ihrer Rückkehr
ins Plattenstudio. "My colouring book" erscheint im April
2004 und beweist, dass die vier Schweden nie wirklich aufgehört
haben, Musiker zu sein - die waren sie schon lange vor Abba, und sie
sind es bis heute geblieben.
Das
gilt für Björn und Benny in besonderer Weise. Die unzertrennlichen
Freunde komponierten und und texteten ohne Pause. "Chess",
ihr erstes Musical, wurde von Kritikern hoch gelobt, und der Nachfolger,
der schon eher opernhafte Züge trägt, "Kristina fran
Udevalla", ist in Schweden ein ungeheurer Publikumsrenner.
Das
jüngste Projekt der beiden ist "Mamma mia", ein Musical,
das inzwischen auch in Hamburg zu erleben ist. Neue Lieder haben sie
dafür nicht schreiben müssen - sie haben einfach eine Handlung
um insgesamt 27 Abba-Hits gestrickt, dafür die Texte der Songs
etwas variiert und führen nun ein Musical auf, von dem sie, wie
in der Fernseh-Dokumentation "The winner takes it all" angemerkt
wurde, lange Jahre gar nicht wussten, dass sie es komponiert hatten.
Wieder
gemeinsam auftreten will das Quartett aber für kein Geld der
Welt. Vielleicht ist das auch gut so. So bleiben sie in Erinnerung,
wie sie waren: Jung, selbstbewusst, ungemein frisch und unkonventionell,
völlig unbekümmert angesichts einer vermeintlichen "Fachpresse",
von der sie lange Zeit bestenfalls ignoriert wurden und die erst jetzt
langsam begreift, welch klassisches Potenzial hinter den Abba-Titeln
steckt.
©
Michael Frost, 26. Dezember 2000
Update: 15. April 2004
Die Zitate entstammen dem Beiheft zu der 4CD-Box
"ABBA: Thank you for the music"