Viele
Künstler würden einiges geben, um ein Portfolio wie seines
vorweisen zu können. Stephan Eicher, Schweizer, Rockmusiker und
Chansonpoet, begann seine Solo-Karriere 1983 mit dem Album "Les
chansons bleues". Das Titellied spielt er heute noch immer in
seinen Konzerten, ebenso wie einen Klassiker, von dem nur die wenigsten
wissen, dass es ein "echter Eicher" ist: "Eisbär",
zu Zeiten der Neuen Deutschen Welle ein Charterfolg seiner Band "Grauzone".
Mit beginnender Kommerzialisierung zog sich Eicher in die Schweizer
Berge zurück - der Rummel ist seine Sache nicht, und auf einen
bestimmten Stil festgelegt zu sein, auch das würde im nicht gefallen.
Deshalb
begab er sich auf die Suche nach individuellen Ausdrucksmöglichkeiten.
Er fand sie in der Lyrik seines Dichterfreundes Philippe Djian, im
englischen Poprock, im französischen Chanson, bei italienischen
Cantautori und in traditioneller Schweizer Musik. Dadurch wurde er
zu einem Wanderer in Sachen Musik, der letztlich nicht nur die unterschiedlichen
Kulturen der Schweiz repräsentiert, sondern auch das Modell für
den kulturellen Austausch innerhalb Europas, konkretisiert zuletzt
durch seine gemeinsam mit dem Italiener Max Gazzè und Herbert
Grönemeyer aufgenommene Single "Taxi Europa".
Dank
seines konsequenten Konzepts kann Eicher heute auf neun Studioalben
stolz sein, eine Filmmusik und eine Best-of-Compilation - allesamt
mit Kritikerlob und großem Publikumszuspruch (vor allem in der
Schweiz und Frankreich) bedacht. Eine DVD ist somit längst überfällig.
Eicher produzierte sie dort, wo er am besten ist: auf der Bühne.
Im Rahmen seiner aktuellen "Taxi Europa"-Tour ließ
er seine Konzerte in Brüssel und Zermatt aufzeichnen, einmal
also dort, wo seine französischen Texte gefeiert werden, und
dann in der Schweiz, wo man seine Schweizerdeutschen Texte versteht
- und fröhlich mitschmettern kann: "Är isch e Star,
Är isch so bsunder, bsunderbar ..." ("E*").
Ganze
zwanzig Titel aus allen Phasen seines Schaffens enthält "Taxi
Europa Live" (übrigens parallel auch als CD veröffentlicht).
Darunter befinden sich auch alle bereits erwähnten Stücke,
jeweils in deutlich renovierter Fassung. Der "Eisbär"
hat seine Klangfärbung deutlich gewandelt: aus dem Elektropop-Hit
wurde ein veritabler Rocksong.
Doch
immer wieder setzt Stephan Eicher vor allem mit seinen leiseren Liedern
besondere Akzente. Bei Liedern wie "Rivière" oder
"Venez danser" erreicht seine Stimme ungeahnte Intensität,
die weit über das Format gängiger Rock/Pop-Balladen hinausreicht.
Selbst
seine eigenwillige, E-Gitarren-unterstützte Interpretation der
Schubert-Serenade "Gute Nacht" nimmt man Eicher ohne weiteres
ab. Warum die Wahl des musikalischen Wanderers ausgerechnet auf dieses
Stück aus Schuberts "Winterreise" fiel ? - Wie heißt
es bei Schubert: "Die Liebe liebt das Wandern - Gott hat sie
so gemacht."
©
Michael Frost, 24. September 2004