Nach
Ani DiFranco könnte man die Uhr stellen. Im jährlichen Rhythmus
produziert sie ein neues Album, ohne sich dabei zu wiederholen: mit
jedem neuen Song läuft die Zeit weiter, kommt Ani DiFranco wieder
ein Stück voran. Noch klingt "Evolve", Jahrgang 2003,
in den Ohren ihrer Fans, schon legt sie "Educated Guess"
nach. In ihrer Diskographie trägt dieses Album bereits die Nummer
18.
Aufgenommen
hat sie die vierzehn neuen Songs fast im Alleingang: "Playing,
Singing, Recording & Mixing done by Ani", so steht es im
Booklet. Im Gegensatz zu "Evolve" benötigt das neue
Album nur eine Gitarre als Begleitung, wodurch Gesang und Text nochmals
in den Vordergrund gerückt werden.
So
persönlich und intim sie einerseits auch klingen mag, stets haben
ihre Texte gesellschaftliche Relevanz: Bei Ani DiFranco ist das Private
immer auch politisch. "Im am an all powerful amazon warrier",
hört man sie in "Origami" singen, und ein wenig sarkastisch
klingt es schon, wenn sie in der dritten Strophe nachsetzt: "I
know men are delicate origami creatures who need women to unfold them
... // but I am tired of being your saviour and I am tired of telling
you why ...". Zum Ausdruck kommt eine Sängerin, die
ihre Emanzipation nicht mehr erkämpfen muss, sondern voraussetzt
- und den Mann, der dies nicht akzeptieren mag, einfach sich selbst
überlässt, anstatt sich in fruchtlosen Diskussionen zu ergehen.
Ähnlich
unsanft verfährt Ani DiFranco auch mit ihrer US-amerikanischen
Heimat. In dem Stück "Animal" thematisiert sie die
eindimensionale Weltsicht der USA: "When you grow up surrounded
by willfull ignorance you have to believe mercy has its own country".
Als Sprachrohr dumpfen Anti-Amerikanismus' will sie aber keinesfalls
missverstanden werden. "I love my country" heißt
es in "Grand Canyon", einem gesprochenen Stück, aber
präzisierend: "by which i mean i am indebted joyfully
to all the people throughout its history woh have fought the government
to make right" - eine Hommage an das andere Amerika, das
Amerika der Bürgerrechte, der Demokratie und der Menschenrechte
- Facetten historischer Errungenschaften, die durch die Vorgänge
der aktuellen Politik allzu oft in den Hintergrund geraten.
Die
Fähigkeit zur Differenzierung macht Ani DiFranco zu der außergewöhnlichen,
gewissermaßen auch unangreifbaren Künstlerin, die sie heute
ist. "Kunst ist Aktivismus", schreibt sie im Booklet
zu "Educated Guess", doch ihr Aktivismus ist weder blind
noch unreflektiert, sondern überlegt und begründet - und
nur deshalb hochpolitisch und für die Mächtigen gefährlich.
©
Michael Frost, 31. Januar 2004