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Erfüllter Jugendtraum


Ihren größten kommerziellen Erfolg hatte Anne Haigis in den 80er Jahren. Songs wie "Freundin" oder "Geheime Zeichen" lenkten die Aufmerksamkeit des Publikums auf die junge Sängerin, die mit kräftiger Stimme deutschsprachige Rockballaden intonierte. Zweifellos: Mitte der 80er Jahre war Anne Haigis eine Ausnahmeerscheinung. Die Neue Deutsche Welle hatte ihren Höhepunkt bereits hinter sich, die Schlagerbranche war im freien Fall - da kam eine neue Generation international orientierter Rockmusikerinnen und -musiker gerade recht. Dennoch ist Anne Haigis bis heute eine Ausnahme geblieben - und ihr künstlerisches Potenzial hat sie über die Jahre immer weiter ausgebaut.

Anne Haigis hat ihr (Kunst-)Handwerk von der Pique auf gelernt. Vom Kammerorchester in Kindertagen wechselte sie in ihrer Jugend zur Gitarre. Mit 16 verließ sie bereits das Haus ihrer Eltern, zog nach Stuttgart, sang dort in verschiedenen Jazz- und Rockbands und ging 1978 auf ihre erste Auslandstour: Als Straßensängerin im Hippielook an der Côte d'Azur. Kaum zu ermessen, welche Bedeutung gerade diese frühe Phase für die weitere Entwicklung von Anne Haigis tatsächlich besitzt. Doch sicherlich werden die Erfahrungen dieser Zeit ungemein prägend gewesen sein, sonst wäre Anne Haigis nicht die Musikerin, die sie heute ist: Die charismatische und wandlungsfähige Interpretin, deren Stimme über eine hörbare Biografie verfügt, Ausdruck und Stärke.

Ihre erste Platte ist von 1981, damals noch in englischer Sprache ("For here where the life is"). Kritikerlob und Publikumszuspruch sorgten für den Durchbruch, der ihr 1984 mit dem ersten deutschsprachigen Album gelang ("Anne Haigis"). Seither gehört sie zu den Großen der Branche. Aber sie wollte sich nicht festlegen lassen und orientierte sich, trotz des kommerziellen Erfolgs, neu. In den USA knüpfte sie Anfang der 90er zahlreiche Kontakte. Melissa Etheridge schrieb für sie zwei Songs ("Dancing in the Fire", "Out of my mind"), die 1992 auf "Cry Wolf" erschienen. Zu diesem Zeitpunkt war Anne Haigis wieder zur englischen Sprache zurückgekehrt, und zu ihren musikalischen Wurzeln, die in einer Mischung aus Rock, Blues, Jazz und Country liegen.

Diese Herkunft präsentiert sie heute eindrucksvoller und kompromissloser als jemals zuvor. Den Sound hat sie reduziert und überwiegend auf akustische Instrumente begrenzt. Mit "ihren drei Männern" Jörg Hamers (Bass, Cajon, Percussions), Jens Filser (Gitarren) und Roman D. Metzner (Akkordeon, Trompete, Saxophon) tourt Anne Haigis unentwegt durch die Lande, und mit ihnen hat sie auch ihr neues Album "Homestory" aufgenommen.

"Homestory" unterstreicht die Bandbreite ihres Stils, der von luftig-fröhlichen Folkpop-Songs ("Beautiful World" von Tony Carey) über Don Henleys Klassiker "Boys of Summer" oder stimmungsvolle Balladen wie "Still do" bis zu ausgefeilten Rock-Songs wie "Magalie" reicht, das bereits zu ihrem Konzertprogramm gehört, jetzt aber in einer fast 14-minütigen Live-Fassung zum ersten Mal auf CD erscheint.

Anne Haigis ist nun schon über zwanzig Jahre im Musikgeschäft. Sie hat viele Höhen erlebt, wahrscheinlich auch den einen oder anderen Tiefpunkt, aber sie hat es verstanden, das Erlebte kreativ umzusetzen und ist schließlich an der Summe ihrer Erfahrungen gereift. Das hat auch ihrer Musik gut getan. "Wenn ich es mir so recht überlege", sagt Anne Haigis, "ich lebe heute meinen Jugendtraum." Erfüllt hat sie sich diesen Traum selbst. Eine stolze Leistung.

© Michael Frost, 15. März 2003

 


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